
(Pop.: 97, 508m NN)
Tiefental liegt neun Kilometer nördlich der Kreisstadt Antlas, eingebettet in das enge Tal des Viddelva-Flusses, der sich durch die zerklüftete Landschaft des Sturminselgebirges schlängelt. Die Siedlung liegt auf 508 Metern über dem Meeresspiegel, umgeben von dichten Wäldern, die aus jahrhundertealten Kiefern, Birken und Fichten bestehen. Der Fluss trennt das Dorf in zwei Hälften, verbunden durch eine steinerne Bogenbrücke aus dem 18. Jahrhundert. Im Frühjahr, wenn das Schmelzwasser aus den Bergen hinabströmt, steigt der Viddelva bedrohlich an und kann die tiefer gelegenen Uferwege unpassierbar machen.
Die Gebäude in Tiefental sind eine Mischung aus massiven Feldsteinhäusern und traditionellen Blockhütten, die mit dunklen Holzbalken verstärkt sind. Einige der ältesten Häuser, darunter die Werkstatt von Halvard Einarsson sind über 200 Jahre alt. Die Dächer sind mit Holzschindeln gedeckt, manche mit dicken Grassoden, die zusätzliche Isolierung gegen den kalten Wind bieten. Viele Häuser stehen auf kleinen Anhöhen oder nahe an den Baumgrenzen, um den Hochwassern des Viddelva zu entgehen. Die meisten Haushalte betreiben kleine Werkstätten oder Räucherschuppen, in denen Fisch und Wildfleisch haltbar gemacht werden. Ein schmaler, von Steinen gesäumter Pfad führt von der Brücke zu den abgelegeneren Hütten am nördlichen Waldrand, wo Jorun Lagesdottir und ihre Familie leben, bekannt für ihre kunstvoll geschnitzten Holzteller und verzierten Türrahmen, die in ganz Antlas geschätzt werden.
Das Gästehaus von Tiefental, ein langgestrecktes Gebäude mit einer breiten Veranda und einem großen Gemeinschaftsraum, liegt nahe der Brücke und dient als Treffpunkt für Einheimische und Reisende. Es wird von Ingrid Solberg geführt, die sich nicht nur um die wenigen Gäste kümmert, sondern auch für das leibliche Wohl sorgt. Wer hier übernachtet, schläft in einfachen, aber stabilen Holzbettgestellen, während in der Stube am Kamin oft Geschichten aus vergangenen Tagen erzählt werden. Sobald Gäste anwesend sind, wird gekocht und Bier ausgeschenkt – ein helles, leicht bitteres Gebräu, das von Oskar Lundström, dem einzigen Brauer des Dorfes, hergestellt wird. Er nutzt für seinen Sud das kalte Quellwasser, das aus den Bergen über eine moosbedeckte Rinne direkt in sein Brauhaus geleitet wird. Das Gästehaus hat keine festen Öffnungszeiten, doch wer am Abend die Laterne über der Tür brennen sieht, weiß, dass es Gesellschaft und warme Speisen gibt.

Von Tiefental aus führt ein steiler, zwei Kilometer langer Pfad hinauf zum Kloster Hjalmvik, das auf einem Felsvorsprung über dem Tal thront. Der Weg ist mühsam, besonders bei Regen, wenn der lehmige Boden rutschig wird. Die Kirche des Klosters, ein massiver Steinbau aus dem 15. Jahrhundert, steht noch immer, während die ehemaligen Wohngebäude der Mönche längst zu Ruinen zerfallen sind. Die Kapelle, in deren Innerem verblasste Fresken eine ungewöhnliche Mischung aus christlichen und heidnischen Symbolen zeigen, wird noch immer von Pilgern besucht. Jedes Jahr Anfang September ziehen kleine Gruppen von Gläubigen aus Antlas und den umliegenden Dörfern hinauf zur Kapelle, um dort die traditionellen Gebete für eine sichere Überfahrt auf dem Westmeer zu sprechen. In einem der noch erhaltenen Räume des Klosters lebt Sverre Bjørnson, ein zurückgezogen lebender Gelehrter, der alte Schriften studiert und gelegentlich Besucher empfängt, um ihnen von der Geschichte des Klosters zu erzählen. Er verbringt seine Tage mit der Restaurierung der verbliebenen Manuskripte und sammelt Kräuter aus den umliegenden Wäldern, die er in kleine Bündel schnürt und an die Bewohner von Tiefental verkauft.
Das Dorf zählt nur 97 Einwohner, die hauptsächlich vom Holzhandwerk, der Fischzucht und dem Sammeln von Wildkräutern leben. Besonders die Holzschnitzkunst hat in Tiefental eine lange Tradition. Die Werkstatt von Oskar Nyström, einem der bekanntesten Holzschnitzer, ist eine der wenigen, in denen noch mit Techniken gearbeitet wird, die seit Generationen überliefert wurden. Er fertigt kunstvolle Masken und Schutzamulette, die in Antlas und sogar in Winoma verkauft werden. Seine Tochter, Alva Nyström, hat sich auf die Herstellung von Spielzeug spezialisiert und schnitzt bewegliche Holzfiguren, die sie einmal im Monat auf dem Markt in Antlas anbietet.
Der Alltag in Tiefental ist stark vom Wetter und den Jahreszeiten geprägt. Im Winter ist das Dorf oft tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, wenn starker Schneefall die schmalen Pfade unpassierbar macht. Die Dorfbewohner sind darauf vorbereitet – Vorräte werden im Herbst in Erdkellern gelagert, Feuerholz wird bereits im Sommer gestapelt. Im Frühjahr, wenn der Viddelva anschwillt und die ersten Zugvögel zurückkehren, beginnt für viele die arbeitsreichste Zeit des Jahres. Holz wird geschlagen, neue Boote gebaut und die ersten Fische aus den klaren Gebirgsbächen gefangen.
Obwohl es kaum moderne Annehmlichkeiten gibt, bleibt Tiefental ein Ort, an dem Reisende willkommen sind. Die wenigen Gäste, die sich hierher verirren, schätzen die Abgeschiedenheit, das knisternde Feuer im Gästehaus und die Geschichten, die die Alten abends bei einem Krug Bier erzählen. Tiefental mag klein sein, doch es trägt die Spuren einer langen, tief verwurzelten Geschichte, die sich in den geschnitzten Balken der Häuser, in den Fresken des Klosters und in den Händen der Menschen widerspiegelt, die hier leben.
Ch.: Viddelvatalstraße nach Antlas, Straße am Gebirgskamm nach Wetterstation am Hohen Zahn, Wanderpfad zum Kloster Hjalmvik, Wanderweg nach Eselsstrand