Der Steinkreis von Kvernstrøm liegt tief im zentralen Skyggeskog, verborgen auf einer abgelegenen Lichtung, die nur von wenigen erfahrenen Wildnisführer:innen betreten wird. Der Ort ist nicht ausgeschildert, seine genaue Lage wird von der Nationalparkverwaltung bewusst nicht veröffentlicht. Wer ihn dennoch erreicht, findet zwölf gewaltige Steinblöcke vor, von denen keiner kleiner als ein ausgewachsener Mensch ist. Die Blöcke stehen in einem leicht verzogenen Oval, einige aufrecht, andere leicht geneigt, als wären sie von Zeit und Frost in Bewegung versetzt worden. Zwischen ihnen wächst kaum etwas – nur Moose, Flechten und gelegentlich die roten Hüte des Blutporlings.
Der Ursprung des Steinkreises ist ungeklärt. Die Chroniken von Antlas erwähnen ihn erstmals in einem Manuskript des 17. Jahrhunderts, das von einem „Steinkreis bei den Schattenwurzeln“ berichtet, in dem „nachts Gesang und Rauch gesehen“ worden sei. Archäologische Untersuchungen sind im Skyggeskog nur sehr eingeschränkt möglich; das Gelände, die Witterung und der Schutzstatus lassen keine großflächigen Grabungen zu. Einzelne Funde – eine glatt geschliffene Bronzescheibe, Bruchstücke von Keramik, verkohlte Holzreste – deuten darauf hin, dass die Lichtung bereits in der Vorzeit genutzt wurde, vermutlich rituell. Ob der Kreis astronomisch ausgerichtet ist, wie manche Forscher vermuten, konnte bislang nicht verlässlich nachgewiesen werden. Einige Steine scheinen jedoch exakt in Nord-Süd- oder Ost-West-Richtung zu weisen.
In den 1980er Jahren kam der Ort erneut in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass hier nächtliche Rituale stattgefunden hatten – teils von esoterischen Gruppen, teils von neugierigen Jugendlichen aus Antlas. Die Nationalparkverwaltung sperrte daraufhin den direkten Zugang. Seither entscheiden die Wildnisführer:innen individuell, ob sie vertrauenswürdige Gruppen an den Rand der Lichtung führen. Dabei gilt ein ungeschriebenes Gesetz: Der Kreis wird nicht betreten, die Steine nicht berührt, keine Gegenstände zurückgelassen. Viele berichten, dass der Ort selbst eine spürbare Wirkung entfaltet – durch seine Stille, seine Lage oder die einfache Tatsache, dass hier seit Jahrhunderten niemand dauerhaft lebt, aber etwas geblieben ist.
Der Steinkreis ist heute kein offizieller Bestandteil der Tourenprogramme, sondern Teil des verborgenen Wissens im Skyggeskog. Ranger wie Merle Sova oder Irian Thal kennen die Stelle, sprechen aber selten darüber. In ihren Berichten über den Park ist sie nicht verzeichnet, doch in persönlichen Gesprächen erwähnen sie ihn manchmal – wie ein Erinnerungsfragment aus einem anderen Zeitalter. Auf einer handgezeichneten Karte, die im Verwaltungsgebäude in Darso aufbewahrt wird, ist die Lichtung mit einem kleinen, kaum erkennbaren Symbol markiert: ein Kreis mit einem Punkt in der Mitte.
Wer den Steinkreis von Kvernstrøm sieht, sieht keinen touristischen Anblick. Es gibt keine Informationstafel, keine Bank, keinen Wegweiser. Nur die Steine, der Wald und der Wind. Und vielleicht eine Ahnung davon, dass es Zeiten gab, in denen Menschen an diesem Ort nach Ordnung im Chaos gesucht haben – mit Steinen, Kreisen, Schweigen.