Am östlichen Stadtrand von Mähnendorf, zwischen Schulgarten, Fahrradständern und dem Pausenhof, liegt die Schulbrauerei des dortigen Gymnasiums – ein schmuckloser, langgezogener Flachbau aus den 1970er Jahren, ehemals ein Kohlenlager, heute das Herzstück eines besonderen Schulprojekts: Hier wird das „Gymnasator“ gebraut, ein dunkles Starkbier, das jedes Jahr zur Maturafeier der Abschlussklassen ausgeschenkt wird. Die Brauerei entstand 2007 aus einer Arbeitsgemeinschaft des Chemie- und Geschichtslehrers Georg Meller, der gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Schüler das Ziel verfolgte, chemisches Fachwissen mit lokaler Braukultur zu verbinden. Anfangs wurde in Emailleeimern experimentiert, der erste Sud gelang nur mäßig und hatte eine Spur zu viel Nelkenaroma – ein Fehler, der inzwischen als „Klassischer Erstling“ im Schularchiv dokumentiert ist.
Die heutige Anlage ist technisch einfach, aber funktional. In einem Raum steht ein 150-Liter-Sudkessel aus Edelstahl, daneben Maischebottiche aus Kunststoff und ein hölzerner Gärbottich, der von einer Tischlerei aus Pechtal gestiftet wurde. Die Etikettierung erfolgt händisch im Werkraum der Schule, mit eigens gestalteten Papieren, die jährlich vom Kunstkurs der Abschlussklassen entworfen werden. Jeder Jahrgang bringt ein anderes Motiv auf die Flaschen: mal ein stilisiertes Hopfenblatt, mal ein abstrahierter Schulkessel, einmal auch ein Karikaturporträt des Direktors mit Gerstenkrone. Die Flaschen werden in Tonkrüge abgefüllt, die aus dem Töpferhaus Schandau stammen und mit einem Wachssiegel verschlossen werden – meist in den Farben des Jahrgangs.

Das Gymnasator selbst ist ein tiefdunkles Bier mit rund 7,2 Prozent Alkoholgehalt. Es hat eine kräftige Malznote, ist kaum gehopft und wird traditionell mit einem Schuss Zuckerrübensirup in der Hauptgärung angereichert. Die Rezeptur wurde über die Jahre hinweg leicht angepasst, enthält aber stets Gerste und Roggen aus Mähnendorfer Umland sowie Wasser aus einem stillgelegten Tiefbrunnen, das eigens für die Produktion gefiltert wird. Als Gärhefe dient eine obergärige Kultur, die jedes Jahr frisch aus der Gelling-Brauerei in Möhra bezogen wird – eine Kooperation, die durch ein Austauschprogramm mit dem dortigen Lehrlingsbetrieb zustande kam.
Die Herstellung beginnt jedes Jahr im März, wenn die Temperaturen im Brauraum stabil genug sind. Der Brauprozess dauert rund vier Wochen, vom Maischen über das Läutern, Kochen, Gären bis zur Flaschenabfüllung. Zwischendurch dokumentieren die Schüler ihre Arbeit in einem sogenannten „Sudheft“, in dem nicht nur technische Details, sondern auch Beobachtungen und Anekdoten festgehalten werden. Ein Heft aus dem Jahr 2015 etwa vermerkt, dass während des Gärvorgangs ein halbes Dutzend Mäuse auf der Fensterbank saß, „als wollten sie den ersten Dampf kosten“. Das Heft wird archiviert, und bei der Übergabe an die nächste Generation gibt es eine symbolische Lesung der „drei lustigsten Einträge“.
Geleitet wird die Brauerei heute von Chemielehrerin Kathrin Lause, unterstützt von Hausmeister Bodo Gerigk, der als „Brauhelfer ehrenhalber“ bezeichnet wird. Gerigk ist verantwortlich für das Aufheizen der Braukessel, die Reinigung der Bottiche und die Instandhaltung des Raumes, wobei er stets einen eigenen Krug aufbewahrt, in dem er bei besonderen Anlässen eine „Lehrprobe“ entnimmt. Die Schüler nennen ihn inoffiziell „Hopfenwart“, und jedes Jahr basteln sie ihm ein Etikett mit seinem Porträt, das auf eine der Flaschen geklebt wird.
Das Gymnasator wird ausschließlich zur Maturafeier ausgeschenkt. Der Festakt findet im Innenhof des Gymnasiums statt, unter einer alten Kastanie, an deren Stamm seit Jahren ein rostiger Flaschenöffner hängt. Jeder Abiturient erhält eine Tonflasche mit dem Bier seines Jahrgangs, dazu ein personalisiertes Etikett, das oft auch nach dem Trinken aufgehoben wird. Einige Familien haben inzwischen ganze Regale mit alten Jahrgangsflaschen – ein informelles Archiv der Bildungskarriere ihrer Kinder. Begleitet wird der Ausschank von Musik, meist einem Blechbläserquartett aus Tolken, das traditionell mit dem Stück „Hopfens Morgengruß“ eröffnet.
Neben dem eigentlichen Brauprozess umfasst das Projekt auch Exkursionen zu anderen Brauereien, Vorträge zu Fermentationsprozessen und eine jährliche „Malzprüfung“, bei der die Schüler drei Sorten Malz blind erkennen und ihre Herkunft erschließen sollen. Wer besteht, erhält ein Zertifikat mit dem Titel „Jungbrauer(in) zur Ehre“, das vom Bürgermeister unterschrieben wird – auch wenn dieser kein offizielles Amt in der Brauerei hat.
Im Alltag ist der Brauraum auch ein sozialer Ort. In Freistunden sitzen Schüler auf den umgedrehten Gärkübeln, erzählen Geschichten und blättern in alten Sudheften. Der Raum riecht nach Malz, Staub und nassem Holz, und ein alter Blechventilator summt leise in der Ecke. In einem kleinen Regal stehen Flaschen aus vergangenen Jahrgängen, darunter ein besonders seltenes Exemplar aus 2008, dessen Etikett ein Schülerporträt mit Krone ziert – eine Erinnerung an jenen Jahrgang, der bei der Etikettierung eine komplette Ladung umkippte und kurzerhand jede Flasche per Hand nachfüllte.
Die Schulbrauerei Mähnendorf ist mehr als ein Projekt für naturwissenschaftliches Lernen. Sie ist ein Ort, an dem Identität entsteht, an dem Generationen ihre Spuren hinterlassen und sich in Flaschenform erinnern. In jeder Tonflasche Gymnasator steckt ein Jahr Arbeit, ein Jahr Schulzeit, ein Jahr Leben – und in jedem Krug, der zur Maturafeier gehoben wird, schwingt nicht nur Stolz, sondern auch ein wenig Wehmut mit.