Das Kreisarchiv Mähnendorf befindet sich südlich des Marktplatzes in einem schlichten, zweigeschossigen Backsteingebäude aus dem Jahr 1912, das ursprünglich als Lehrerfortbildungsstätte diente. Heute beherbergt es die zentrale Dokumentensammlung des Landkreises und gilt unter Heimatforschern, Familienchronisten und Brauereihistorikern als verlässliche und vielseitige Anlaufstelle. Der Zugang erfolgt über ein rundbogiges Portal aus hellem Sandstein, in dessen Tympanon die Buchstaben „KAM“ in Eisen eingelassen sind. Im Eingangsbereich duftet es dezent nach Leim, Papier und Bohnerwachs, und die Wanduhr über dem Empfangstresen zeigt häufig eine andere Zeit als die eigene Armbanduhr – ein Umstand, den Archivleiter Harald Krenz mit der Bemerkung „Das Archiv läuft im historischen Takt“ kommentiert.

Harald Krenz, studierter Historiker mit einem Schwerpunkt auf agrarischer Verwaltungskultur, leitet das Archiv seit 1999. Er ist eine markante Figur im Ort – mit weiten Cordhosen, Hosenträgern und einem Faible für Tintenfässer. Besucher empfängt er stets mit einer Frage nach ihrer Herkunft, um sie gleich danach auf den entsprechenden Regalabschnitt hinzuweisen. Unter seiner Leitung wurde das Archiv inhaltlich und räumlich erweitert. Heute umfasst es rund 1500 laufende Meter Akten, dazu 320 Kartenrollen, 76 Kirchenbücher, 19 Gemeindesiegel und ein Dutzend Stehpulte aus dem 18. Jahrhundert, die einst in den Pfarrämtern des Kreises genutzt wurden.

Im Erdgeschoss befinden sich das Verwaltungsbüro, ein kleiner Lesesaal mit acht Arbeitsplätzen und das sogenannte „Findmittelzimmer“, in dem Kartons, Zettelkästen, Hängemappen und digitalisierte Mikrofilme zusammengeführt werden. Das Mobiliar stammt überwiegend aus Beständen der aufgelösten Lehrerbildungsanstalt in Zentrobach, und der Kopierer – Baujahr 1983 – wird liebevoll als „weißes Arbeitspferd“ bezeichnet. Zwei Räume im Erdgeschoss sind thematisch organisiert: der Raum „Brauereiaktei“ und der Raum „Flurwesen & Grenzverläufe“. In ersterem lagern alte Sudprotokolle, Konzessionierungsurkunden, Braugeldabrechnungen und Werbematerialien längst verschwundener Dorfbrauereien, darunter etwa das Etikett der „Strähnbacher Bockbrauerei“ mit einem Ziegenkopf und der Spruch „Störrisch gut seit 1884“. Der zweite Raum führt über das Flurstücksverzeichnis von 1827 bis hin zu aktuellen Katasterkarten.

Im Kellergewölbe lagert die sogenannte „Hopfenkammer“. Sie war ursprünglich ein Vorratsraum mit gemauerten Wänden und niedriger Decke, diente zeitweise als Kartoffellager der Schulverpflegung und wurde unter Krenz restauriert. Heute stehen dort große Gläser mit getrocknetem Hopfen aus verschiedenen Jahrzehnten, luftdicht verschlossen, etikettiert mit Anbauort, Erntezeit und Säuregrad. Besucher können an bestimmten Tagen Proben vergleichen – unter Leitung von Archivassistentin Greta Hülsemann, die über Hopfenkonservierung promoviert hat. Führungen durch die Hopfenkammer finden dienstags um 10 Uhr statt, Gruppenanmeldungen sind über das Rathaus möglich.

Besonders gefragt ist das Archiv bei Menschen, die nach Familienwurzeln forschen. Anfragen kommen regelmäßig aus ganz Landauri. Viele dieser Nachforschungen betreffen Auswanderungswellen aus dem 19. Jahrhundert, als junge Landarbeiter aus Tolken oder Pechtal in die Brauindustrie der Länder im Norden gingen. Einige Reisetagebücher aus dieser Zeit befinden sich in der Sammlung, darunter auch das Notizbuch von Ewald Schirmer, der 1857 zu Fuß nach Bierona lief, um dort als Braubursche anzuheuern. Die fein säuberlich notierten Streckenangaben und Ausgaben (u.a. „1,5 Pfennig für Bierersatz aus Apfelmehl“) sind in Sütterlin geschrieben und wurden von einer Schülergruppe des Gymnasiums transkribiert.

Auch aus dem kulturellen Bereich wird das Archiv regelmäßig genutzt. Die Theatergruppe „Die Trübwürze“ recherchiert hier für ihre Stücke, zuletzt für das Historienspiel „Der Malzknecht von Schandau“, dessen Figuren auf realen Personen aus dem gleichnamigen Dorf beruhen. Die Biertheken-Ausstellung im Wirtshaus „Zum Halben Kessel“ entstand ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Archiv und zeigt Reproduktionen alter Ausschanklizenzen, darunter eine von 1761 mit dem Zusatz „nur an Tagen ohne Tanz“. Im Lesesaal hängen kleine Schilder, die Besucher auffordern, eigene Erinnerungen aufzuschreiben. Diese sogenannten „Kleinstprotokolle“ – oft nur ein halber Absatz lang – werden monatlich ausgewertet. Ein Beispiel: „Im Jahr ’82 fiel der letzte Schnee genau am Braumittwoch, der Bäcker schimpfte, weil sein Treber gefror.“

Im Obergeschoss des Gebäudes befindet sich das Sondermagazin. Hier lagern empfindliche Dokumente unter kontrollierter Temperatur, darunter das erste handgeschriebene Steuerregister von Mähnendorf (datierend auf 1648), das Fahnenschreiben zur Einweihung des Bahnhofs (1832), ein vererbtes Sudbuch der Familie Scheck und eine sogenannte „Hopfenurkunde“ von 1715, die genau festlegt, auf welcher Flur der frühe Hopfenanbau beginnen durfte. Diese Urkunde ist mit einem gepressten Hopfenblatt gesiegelt – das älteste erhaltene pflanzliche Siegel des Kreises.

Besonders stolz ist das Archiv auf seine Zusammenarbeit mit dem Mähnendorfer Gymnasium. Die Schulbrauerei liefert regelmäßig Jahresberichte über den Zustand der Hefekulturen, die im Archiv in einer gesonderten Mappe („Gymnasator-Akten“) gesammelt werden. Außerdem betreuen Archivmitarbeiter jährlich ein Schülerprojekt zur Geschichte eines ausgewählten Brauwesens-Themas. 2023 wurde etwa die Rolle von Witwen als Braustellenverwalterinnen untersucht – ein überraschend ergiebiges Thema, bei dem über 40 Einzelbelege zutage traten.

Das Kreisarchiv ist von Montag bis Donnerstag jeweils vormittags geöffnet. Wer hier forscht, muss Geduld mitbringen, aber wird oft belohnt. In Schubladen, Kisten, Ritzen und Falten findet sich ein Querschnitt durch das Leben des Landkreises: penibel festgehalten, mit Tinte, Bleistift oder Kugelschreiber. Wer fragt, bekommt nicht nur Akten, sondern auch Geschichten – etwa die vom verschwundenen Malzgewicht aus Tolken, vom beschlagnahmten Fass in Stadtnähe oder vom ersten Fotodokument, das einen hopfenernsten Jungen mit Gießkanne vor dem Schulhaus in Möhra zeigt. Das Archiv sammelt nicht nur Papier – es bewahrt das Gedächtnis eines Landstrichs, in dem vieles unscheinbar beginnt, aber lange nachwirkt.