Das Wirtshaus „Zum Halben Kessel“ an der Marktstraße 17 ist mehr als nur ein gastronomischer Betrieb – es ist eine feste Institution im städtischen Leben von Mähnendorf. Der Bau stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert und besteht aus einem langgestreckten, zweigeschossigen Haupthaus mit sandfarbenem Putz und Fensterläden in stumpfem Grün. Rückwärtig öffnet sich das Anwesen zu einem Innenhof mit Kopfsteinpflaster, in dessen Mitte eine alte Kastanie steht. Von ihren Ästen hängt seit Jahren ein rostiger Kronkorkenfänger aus Draht, der bei kräftigem Wind leise klappert. Links vom Eingang befindet sich ein ehemaliger Pferdestall, heute umgebaut zur Bierkammer und Schankstation, rechts ein gemauerter Ziegelbackofen, in dem regelmäßig Flammkuchen, Treberbrötchen und einmal im Monat auch ein ganzer Schinken gegart werden.

Das Wirtshaus wird in dritter Generation von der Familie Grundmeier geführt. Vater Horst kümmert sich um Einkauf, Fässer und das Zählwerk am Zapfhahn. Seine Tochter Alina betreibt Küche und Planung, während der Schwiegersohn Jonas die Gäste bedient, in Lederweste, aber mit digitalem Notizgerät. Die Speisekarte ist auf einer Holztafel angeschlagen und ändert sich nur selten. Neben Klassikern wie Gerstensuppe, Hopfenhähnchen und Sauerteigbrot mit Schmalz ist vor allem die „Kesselschorle“ das Aushängeschild: ein Getränk, das aus hellem Hausbier und Holunderlimonade besteht, mit einer Prise Salz versetzt wird und in schweren Literkrügen aus braunem Ton serviert wird. Die Gläser tragen jeweils das eingeritzte Kesselzeichen – ein stilisierter Kupferkessel mit zwei Schaumkronen. Die Krüge werden direkt in Schandau getöpfert und einmal jährlich gegen neue ausgetauscht, was stets mit einem kleinen Fest verbunden ist: dem „Krugwechsel“, bei dem alte Krüge mit Widmungen bemalt und im Gastraum ausgestellt werden.

Die Gäste setzen sich bunt zusammen. Tagsüber dominieren Verwaltungsmitarbeiter der Kreisstadt, die hier ihr Mittagsgericht einnehmen – oft mit Notizen oder Aktentasche auf dem Tisch. Am späten Nachmittag treffen sich Handwerker, vor allem vom Maschinenhof Scheck, die ihre Schraubenschlüssel auf dem Tisch klimpern lassen, bevor das Bier kommt. Auch Schüler des Gymnasiums kehren regelmäßig ein, allerdings nur zum Malzpendant – einem alkoholfreien Getränk aus Malzextrakt und Kräuterbrause, das unter dem Namen „Kesselbrause“ geführt wird. Bei besonderen Anlässen wird diese sogar im Schulbetrieb abgefüllt und mit individuellen Etiketten versehen. Einmal im Jahr – zur Maturafeier – sitzen die Abiturienten der Schulbrauerei unter der Kastanie und stoßen mit dem Gymnasator an. Dann ist der Innenhof besonders festlich: mit Papierlaternen, langen Tafeln und einem großen Flaschenständer in Form eines Glockenturms.

Der Innenraum des Wirtshauses ist verwinkelt, mit niedrigen Balkendecken und einem Kamin, der im Winter fast täglich befeuert wird. Die Wände sind gespickt mit alten Brauereifotos, einem verstaubten Sudlöffel unter Glas und einem Holzteller mit eingebranntem Spruch: „Ein halber Kessel wärmt zwei Herzen.“ In einer Ecke befindet sich ein Gästebuch, das bereits seit 1972 geführt wird. Darin finden sich Einträge wie „Brauerstammtisch, 3. Bier zu früh serviert – dennoch begeistert!“ oder „Dienstag, Regen, Verwaltungssuppe vorzüglich.“ In einem Nebenraum, dem sogenannten „Kleinen Kessel“, trifft sich regelmäßig der Mähnendorfer Verein zur Bieretikettenkunde, dessen Mitglieder ihre Sammlerstücke austauschen und die grafische Entwicklung regionaler Brauereien diskutieren.

Ein besonderer Abend ist der Mittwoch, wenn der „Halbe Vortrag“ stattfindet – eine offene Runde mit kurzen Vorträgen aus allen Lebensbereichen, bei denen die Regel gilt: maximal 30 Minuten, maximal 1 Liter. Hier sprachen bereits der Archivar Harald Krenz über Hopfensteuerreformen, eine Bäuerin aus Stadtnähe über altes Saatgut und der junge Brauer Levin Dreefs über den Zusammenhang von Witterung und Schaumstabilität. Der Mittwochabend endet oft mit gemeinsamem Gesang, angeleitet von Alina Grundmeier, die auf einem alten Akkordeon spielt.

Auch kleinere Ereignisse werden hier gefeiert: Geburtstage, Dienstjubiläen, das Ende der Brauwoche. Zu diesen Anlässen wird die „Halbkesselplatte“ serviert – eine Auswahl kleiner Speisen auf einem Holzbrett: Gerstenschnittchen, Hopfenkäsewürfel, Pfefferwürste in Malzsud und eingelegte Zwiebeln. Dazu gibt es das saisonale Kesselbier, das regelmäßig wechselt: ein Maibock im Frühjahr, ein würziger Roggenhopfen im Herbst und zu Silvester ein helles Rauchbier mit dem Beinamen „Funkenfang“.

Der Ruf des „Halben Kessels“ reicht über die Stadtgrenzen hinaus. Auch Gäste aus den Küstenorten Straßenstrand und Schandau kehren gelegentlich ein – vor allem, wenn in der Nebensaison die Fässer günstiger sind. Übernachtungen gibt es keine, aber im Nebengebäude steht eine kleine Schlafkoje mit Holzwand und zwei Feldbetten, die als „Notlager für Braugesellen“ firmiert und im Jahr durchschnittlich dreimal genutzt wird. Eine kleine Gedenktafel über der Tür erinnert an den Brauer Ernst-Willi Fuchs, der dort 1981 irrtümlich drei Tage verbrachte, weil niemand ihn vermisste – und der anschließend den Spruch prägte: „Ein halber Kessel ist besser als gar kein Bett.“

Das Wirtshaus „Zum Halben Kessel“ ist in Mähnendorf nicht nur ein Ort zum Essen und Trinken, sondern ein soziales Zentrum, ein Speicher von Geschichten, Anekdoten und Ritualen. Es verbindet Generationen, Berufe und Temperamente – und lebt davon, dass zwischen Ziegelofen, Zapfhahn und Kastanie Platz ist für Alltag wie Fest. Wer hier einkehrt, bekommt mehr als Bier – er wird Teil eines lebendigen, gewachsenen Stücks Stadt.