
(Pop.: 854 – 2m NN)
Straßenstrand liegt auf nur zwei Metern über dem Meeresspiegel an der Südgrenze des Landkreises Mähnendorf, direkt an der Küste des Mare Internum. Im Norden steigen Felder mit Gerste, Roggen und Weizen sanft an, dazwischen einzelne Hopfenparzellen, in denen Spatzen schwärmen und bunte Tücher zum Vogelscheuchen im Wind knattern. Nach Osten und Westen schließen dichte, salzresistente Kiefernwälder den Ort ein – der sogenannte Küstenwald, ein schmaler Gürtel mit sandigem Boden, krumm gewachsenen Bäumen und weichem Moosboden. Im Süden schließlich öffnet sich der langgezogene Strand von Straßenstrand: ein breiter Sandstreifen, teils mit Dünengras bewachsen, der sich ohne Hafen oder Promenade direkt ans Dorf schmiegt.

Die Siedlung selbst ist schmal und langgezogen, fast parallel zur Küstenlinie gebaut. Die ältesten Häuser stehen in der mittleren Reihe entlang der Straße „Zur Woge“, die in einem sanften Bogen bis zum Meer führt. Dort endet sie an einem Holzsteg, an dem seit 1932 das Ausflugsschiff „Bries“ anlegt – ein flacher Dampfer mit Holzbänken, der in der Sommersaison viermal täglich kleine Fahrten entlang der Küste anbietet. Die „Bries“ hat ein charakteristisches, langsam pfeifendes Horn, das bei jeder Ankunft ein langgezogenes Tuten von sich gibt. Kinder rennen dann barfuß den Steg entlang, während Erwachsene in Deckstühlen das Ein- und Aussteigen beobachten.
Straßenstrand ist im Landkreis Mähnendorf als Kurort bekannt, wobei es nie einen offiziellen Kurstatus erhielt – doch der Begriff hat sich im Sprachgebrauch gehalten. Dafür verantwortlich ist vor allem das Sanatorium „Uferblick“, ein weiß getünchtes, zweigeschossiges Gebäude mit langen Fensterreihen, einem verglasten Wintergang und einem Therapiegarten mit Kräutern, Sandwegen und Holzliegen. Gegründet wurde es 1911 von der Ärztin Amalie Brettendorf, die die besondere Wirkung der salzhaltigen Luft bei Atemwegserkrankungen und nervösen Erschöpfungszuständen erkannte. Heute wird das Haus von ihrem Enkelsohn, dem Internisten Dr. Kilian Brettendorf, geführt. Die Kuranwendungen umfassen Inhalationen mit Hopfenblüten-Extrakt, Sandbäder und Morgenläufe durch den Küstenwald. Die meisten Gäste kommen für zwei bis drei Wochen, lassen sich Kräuterauflagen verordnen oder nehmen an den literarischen Gesprächskreisen im Leseraum teil, wo man auf geflochtenen Stühlen unter wandhohen Bücherregalen sitzt.

Am östlichen Rand des Orts, leicht hinter den Dünen, steht die kleine Kirche St. Pelagius, ein schlichter Holzbau mit tief gezogenem Dach und einem freistehenden Glockenstuhl aus dunklem Kiefernholz. Die Kirche wurde 1906 errichtet, ursprünglich als Betsaalkapelle für Fischerfamilien. Der Innenraum ist weiß gekalkt, die Bänke sind hell lasiert, und die Kanzel besteht aus Treibholz, das nach einem Sturm an die Küste gespült wurde. Jeden Sonntagmorgen findet hier ein Gottesdienst statt, und zur Sommersonnenwende wird abends bei offenem Türrahmen gesungen – die Gemeinde blickt dann aufs Meer, während Möwen über das Dach kreisen. Das Läuten der Glocke übernimmt seit Jahren Gustav Pellnitz, ehemaliger Bootsbauer, der das Seil stets barfuß tritt, „damit der Ton nicht erschrickt“, wie er sagt.

Der Strand von Straßenstrand ist weniger bespielt als in größeren Badeorten, aber vielseitig genutzt. Im Sommer lagern Einheimische wie Gäste in windgeschützten Mulden, schwimmen im seichten Wasser, sammeln Muscheln oder spielen Boccia auf den festen Sandbereichen. In den Übergangszeiten, besonders im April und Oktober, treffen sich hier Gruppen zum „Strandmarsch“, einer Art meditativem Gehen entlang der Wasserkante. Morgens sieht man oft die Gymnastikgruppe aus dem Sanatorium beim Dehnen, während am Spätnachmittag Jugendliche Beachvolleyballnetze spannen. Im Winter wird der Strand zum Schauplatz anderer Aktivitäten: Kinder bauen Windskulpturen aus Treibgut, Erwachsene veranstalten Neujahrsfeuer mit Hopfentee und Gerstensuppe. Auch Surfer, Kitesegler und Vogelkundler schätzen den offenen Horizont und die langen Linien des Himmels.
Unterkunft bietet Straßenstrand in drei festen Hotels. Das traditionsreichste ist das „Hotel Sandweite“ an der Strandstraße, ein zweistöckiger Holzbau mit blau gestrichenen Fensterläden, das seit den 1950er Jahren betrieben wird. Hier gibt es Halbpension, ein Kaminzimmer und einen hölzernen Bootsschuppen, der zum Leseort umfunktioniert wurde. Etwas kleiner, aber mit Blick auf das Meer, liegt das „Haus Wogenruh“, das aus einem ehemaligen Fischerhaus hervorging und heute acht Gästezimmer, eine Veranda und eine Teeküche bietet. Dritter im Bunde ist das moderne „Seelicht“, ein Neubau mit flacher Dachterrasse, betrieben von zwei jungen Geschwistern, die zuvor in Bierona lebten. Das Frühstück dort besteht aus Roggenschrotbrot, Honig aus dem Küstenwald und hausgemachtem Molkekäse.

Gegessen wird in Straßenstrand gut und eher schlicht. Die bekannteste Gaststätte ist der „Hopfensteg“, direkt gegenüber dem Schiffsanleger gelegen. Hier gibt es Fischsuppe, Sauerteigfladen mit Kümmel und Hopfenbier vom Fass – das hauseigene „Wogenbräu“, gebraut in der Küstenquell-Brauerei unweit des Ortskerns. Letztere ist für ihr obergäriges Weizenbier mit maritimer Würze bekannt, das durch Zusatz von Salzwasser und Küstenfenchel sein typisches Aroma erhält. Die Brauerei bietet jeden ersten Samstag im Monat eine Verkostung mit Führung durch Sudhaus, Lager und Abfüllraum an.
Neben dem „Hopfensteg“ gibt es das „Brisefass“, eine kleinere Kneipe mit dunkler Theke, Holzboden und einer Wand voller bemalter Treibholzstücke, auf denen Gäste ihre Namen hinterlassen. Die „Küstenkante“ bietet leichte Küche und ist besonders bei Kurgästen beliebt – etwa wegen der Dinkelsuppe mit Fenchelschnee oder dem Kamillen-Roggenbrot. Die vierte Gaststätte, das „Gerstenblatt“, ist eher rustikal und wird vom Ehepaar Wichmann betrieben, das bekannt ist für sein Pfeffermalzgulasch. Die Gerstenschnitte zum Dessert ist eine Spezialität mit Apfelmus, Honig und einer Prise Salz.
Ein Nachtclub? Gibt es tatsächlich – er nennt sich „Nachtwoge“ und liegt in einem umgebauten Rettungsschuppen nahe der Düne. Hier treffen sich in der Saison Urlauber, junge Leute aus Mähnendorf und gelegentlich sogar Seeleute der „Bries“. Der Club öffnet freitags und samstags ab 21 Uhr, spielt elektronische Musik, Hopfenswing und alte Seemannslieder in Remixversionen. Die Bar bietet Kessel-Schorle, Bierlikör und eine Spezialität namens „Seegang“, ein klarer Kümmelschnaps mit einem Tropfen Hopfenöl. Im Winter bleibt der Club geschlossen, dient aber als Lager für Musikanlagen, Sitzsäcke und eine Sammlung vergessener Mützen, die einmal jährlich versteigert werden.
Straßenstrand ist kein hektischer Ort. Es gibt keinen Markt, keine Leuchtreklamen, keine Promenade mit Verkaufsbuden. Dafür aber offene Türen, hölzerne Veranden, leise Musik vom Strand und das Tuten der „Bries“ im Wind. Wer länger bleibt, merkt, dass sich vieles über Rituale und Wiederkehr ordnet: der Duft von Küstenbier im Glas, das Trocknen von Badelaken über Geländern, das Knarzen der Stege, das Glockenläuten am Sonntag. Ein Dorf, das sich der Bewegung nicht verschließt, aber dem Wasser den Takt überlässt.
Ch.: B4 (W: Bad Schirma 8,5km, O: Schandau 10km); BL1 (N: Mähnendorf)