Friedhofskirche von Tolken

Friedhofskirche von Tolken

Am westlichen Dorfrand von Tolken erhebt sich die neugotische Friedhofskirche, ein stattlicher Backsteinbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Errichtet wurde sie 1856 auf einem leichten Geländerücken oberhalb des ehemaligen Viehpfads, heute Kirchweg genannt. Ihre schlanke, nach Westen gerichtete Turmspitze ist von weitem sichtbar, vor allem bei Sonnenuntergang, wenn sich ihr Schatten über das angrenzende Feld legt. Die Kirche dient seit jeher nicht nur als Begräbnisstätte, sondern ist auch das geistige Zentrum des Dorfes – ein Ort der Sammlung, des Gedenkens und des dörflichen Zusammenhalts.

Der Baukörper folgt einem rechteckigen Grundriss mit eingezogenem Chor. Die Fassade ist klar gegliedert: Rundbogenfenster mit profilierten Gewänden, ein gotisch inspirierter Stufengiebel am Turm und ein Portal mit feinem Maßwerk über dem Bogen. Das Mauerwerk besteht aus glasierten und unglasierten Ziegeln, die in rhythmischem Wechsel gemauert sind – ein typisches Element für die Backsteingotik des Bierlands.

Im Inneren fällt der Blick auf die hölzerne Empore, die sich über drei Seiten des Kirchenschiffs zieht. Auf ihr steht die original erhaltene Orgel des berühmten Orgelbauers Mathis Escher, gefertigt 1821 in Bierona und 1857 nach Tolken gebracht. Das Instrument ist klein, aber klanglich differenziert, mit einem weichen, tragenden Ton, der besonders gut für die sonntäglichen Choralstücke geeignet ist. Die Instandhaltung übernimmt seither die Familie Remken aus Tolken, deren Mitglieder über Generationen hinweg das Amt der Organisten innehatten.

Die Sitzbänke aus dunkler Eiche sind schlicht, aber mit eingeschnitzten Wappenmotiven versehen: Ähren, Hopfenranken und Pflugräder – Hinweise auf die tief in der Landwirtschaft verwurzelte Dorfgeschichte. In einer Bankreihe vorne links hat ein Kind einst ein Herz mit einem Taschenmesser eingeritzt; darunter steht „Lotti & Peer 1968“. Es wurde nie entfernt.

Besonders auffällig im Kirchenraum ist der Grabstein Hans Grübels, der neben dem Altar in die Wand eingelassen ist. Der Stein ist in Form einer Hopfendolde gestaltet – mit feinen Ranken und dem eingemeißelten Schriftzug „Dem Brauer und Tieftänker, der im Grund das Leben gärte.“ Die Legende erzählt, dass Grübel im 18. Jahrhundert mit der Methode des „tiefen Brauens“ experimentierte: Er ließ die Gärbottiche in Erdgruben fermentieren, was dem Bier einen besonders milden, erdigen Geschmack verlieh. Obgleich historisch nicht gesichert, wurde Grübel zur lokalen Brauerfigur verklärt, und jedes Jahr zu Allerheiligen legt der Heimatverein einen Hopfenkranz an seinem Stein nieder.

Der Kirchhof selbst ist von einer niedrigen Trockenmauer eingefasst, mit alten Linden, deren Stämme von Efeu umrankt sind. An der Südseite steht ein kleines hölzernes Glockenhaus, das als Ersatz für eine bei einem Sturm beschädigte zweite Glocke errichtet wurde. Die verbliebene Hauptglocke trägt die Inschrift „sola humilitas exaltat“ – „nur Demut erhebt“ – gegossen 1734 in Bierona.

Besonders lebendig wird die Kirche zu den kirchlichen Feiertagen und beim Leinenfest, das im September stattfindet. Dann schmücken Mitglieder des Textilateliers „Nadelwerk“ die Innenräume mit Flachsbüscheln, handgewebten Altartüchern und bestickten Paramenten. Die Abendandacht am Samstag des Festes, begleitet vom Blechbläserquartett Tolken, gehört zu den stimmungsvollsten Momenten des Jahres. Gespielt wird stets der „Hopfens Morgengruß“, dessen weicher Klang sich mit dem Duft von getrocknetem Gras und Leinöl vermischt.

Die Kirche ist tagsüber geöffnet, eine kleine Spendenkasse hängt am Eingangsportal. Besucher werden durch ein schlichtes Schild begrüßt: „Komm, setz dich. Hier ist Platz für Stille.“ In der Kirchenbank liegen gelegentlich kleine handgeschriebene Zettel – Gedanken, Bitten, Dank. Die Küsterin Dorina Fust sortiert sie einmal im Monat, brennt sie am Kirchhof und sagt: „So gehen sie dahin, wie Hopfenstaub im Wind.“