Die Basilika St. Pientrion erhebt sich auf einem kleinen Hügel unweit des linken Zento-Ufers im Zentrum von Ruppin und gilt als eines der ältesten und ungewöhnlichsten Sakralbauwerke im nördlichen Bierland. Ihre Doppelturmfassade aus rotbraunem Backstein dominiert die Silhouette der Stadt und ist schon vom Fluss aus sichtbar – ein Orientierungspunkt für Schiffer, Pilger und Besucher, die sich dem Ort nähern. Der Ursprung der Kirche reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück, als Mönche des Braukonvents von Niederzentro an dieser Stelle eine Kapelle errichteten, die zunächst dem heiligen Pancratius gewidmet war. Erst im Jahr 1432 wurde sie unter dem Einfluss der einheimischen Braugemeinschaft dem Heiligen Pientrion geweiht, einem legendenumwobenen Braumissionar aus dem Zentravia des 8. Jahrhunderts, der der Überlieferung nach Flusswasser mit einem Sudstab segnete und in trinkbares Bier verwandelte.

Das heutige Erscheinungsbild der Basilika ist das Ergebnis mehrerer Bauphasen, Zerstörungen und Wiederaufbauten. Der untere Teil des Westwerks mit dem romanischen Hauptportal stammt aus der Frühzeit, während die beiden Türme später, im Jahr 1624, von zwei konkurrierenden Steinmetzbruderschaften vollendet wurden. Der südliche Turm weist gotische Elemente auf – spitzbogige Fenster, feine Maßwerkornamente und einen hohen Helm mit Kreuz –, während der nördliche mit barockem Haubendach, kupferverkleideter Laterne und ovalem Uhrzifferblatt einen gänzlich anderen Stil zeigt. Eine lokale Anekdote erzählt, dass der Streit zwischen den beiden Bruderschaften so weit ging, dass während des Baus des zweiten Turms eine Mauer zwischen den Gerüsten errichtet wurde, um gegenseitiges Spionieren zu verhindern. Noch heute kursieren Spottlieder über die „schielende Basilika“, deren Türme sich nicht ganz symmetrisch gegenüberstehen.

Das Kirchenschiff ist in drei Joche gegliedert, mit einem leicht erhöhten Chorraum und einem halbkreisförmigen Apsisabschluss. Die Decke ist als flache Holztonne ausgeführt, deren bemalte Balken aus dem Jahr 1667 Szenen aus dem Leben des Heiligen Pientrion zeigen. Besonders auffällig ist die Darstellung der sogenannten „Gerstenwunderfahrt“, bei der Pientrion auf einem Flaschenkorken den Zento hinabgefahren sein soll, um einem durstigen Dorf das Brauwissen zu bringen. Die Seitenaltäre stammen aus der Braugilde von Ruppin und sind mit geschnitzten Darstellungen von Hopfenpflanzen, Malzschaufeln und Bottichen versehen. An der Nordwand hängt ein hölzerner Andachtskasten mit einer kleinen Blechsudpfanne, der sogenannten „Pientrionskelle“, die einmal im Jahr beim Biersegen am 23. Juni über dem Hauptaltar ausgeschwenkt wird.

Im südlichen Seitenschiff befindet sich das „Gildengestühl“, eine hölzerne Sitzbank mit eingravierten Namen der ältesten Ruppiner Braufamilien. Jeder neue Braumeister, der in der Stadt eine Schanklizenz erhält, muss sich dort im Rahmen einer Andacht mit einem eigenen Wappen einritzen – eine Praxis, die auf ein Dekret von 1734 zurückgeht. Gleich daneben findet sich ein alter Opferkasten in Form eines Kruges, in den Besucher Münzen werfen können. Der Erlös wird für die Instandhaltung der Dachrinnen und die Finanzierung der jährlichen Brauandacht verwendet.

Die Basilika beherbergt eine Orgel, die 1865 von der Orgelwerkstatt Pergum & Söhne gefertigt wurde. Das Instrument umfasst drei Manuale, ein selbstspielendes Glockenspiel und wurde 2021 restauriert. Kantorin Fräulein Imgen Zernholz führt jeden ersten Sonntag im Monat durch ein Programm namens „Klang & Krug“, bei dem Orgelwerke aus dem Zentravianischen Raum erklingen, gefolgt von einer Bierverkostung im nördlichen Kreuzgangflügel. Hier, unter einem mit Hopfenranken geschmückten Arkadengang, befindet sich auch die kleine Ausstellung „Liturgie und Läuterbottich“, die zeigt, wie liturgische Feste und Braukultur über die Jahrhunderte ineinandergreifen.

Besondere Bedeutung besitzt das Kryptagewölbe unter dem Chor. Dort ruht – in einem steinernen, unbeschrifteten Sarkophag – nach lokaler Überlieferung ein Stück des Sudstabs des Heiligen Pientrion. Um diesen Fund ranken sich zahllose Mythen: Einem zufolge wurde der Stab beim Hochwasser von 1779 aus dem Fluss gespült und von Kindern gefunden. Er soll aus einem fremdartigen Holz bestehen, das weder fault noch brennt. Einmal im Jahr, beim Fest der „Drei Tropfen“, wird die Krypta geöffnet, eine Prozession zieht mit einem Humpen in der Hand um den Chor, und der Stadtkämmerer liest aus der „Sudchronik von Ruppin“, einer handgeschriebenen Braubibel aus dem 16. Jahrhundert.

Architektonisch bemerkenswert ist der sogenannte „Sudbogen“ am südlichen Außenschiff: ein gemauerter Durchgang, der einst einen Verbindungsgang zur angrenzenden Brauereischule bildete. In der Schlusssteinkartusche ist ein Malzsymbol eingemeißelt, flankiert von zwei Löwen, die Krüge halten – eines der frühesten bekannten Beispiele für profane Symbole an einem sakralen Bauwerk im Bierland. Der Durchgang ist heute zugemauert, aber die Legende sagt, dass er sich nachts zur Sommersonnenwende erneut öffnet, wenn drei Personen gleichzeitig Bier trinken, beten und einen Hopfendolden opfern.

Die Basilika St. Pientrion ist nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch identitätsstiftender Ort für die gesamte Stadt. Schulklassen besuchen regelmäßig die Sudbilderdecke, Konfirmanden gestalten Hopfenaltare und zur Adventszeit wird auf dem Kirchplatz der „Krugkranz“ entzündet – ein großer Kreis aus hölzernen Bierkrügen, in denen Kerzen stehen. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt in Kapitellen, Wandreliefs und Bankritzungen zahllose Hinweise auf das Verhältnis von Glaube und Genuss, Ordnung und Ausschank. Die Basilika ist damit nicht nur ein Gotteshaus, sondern ein gelebtes Archiv der Braukultur, die in Ruppin seit Jahrhunderten nicht nur gebraut, sondern auch geglaubt wird.