Am nördlichen Rand von Ruppin, dort wo die Stadt in Felder und Weideflächen übergeht, erhebt sich ein langer, schmaler Backsteinbau mit Ladeluken, Holzrutschen und wettergegerbtem Ziegeldach – der ehemalige Kornspeicher, in dem seit 1832 die Brauerei „Ruppiner Flut“ untergebracht ist. Der Name erinnert sowohl an die regelmäßigen Frühjahrsüberschwemmungen des Zento als auch an die kraftvolle Wirkung des ersten Suds, der laut Überlieferung „wie eine Flut durch die Kehle“ geströmt sei. Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert von der Händlerfamilie Moost als Getreidelager errichtet, später von einem Enkel zum Braubetrieb umgebaut. Die imposante Holztreppe in der Mitte des Hauses stammt noch aus der Kornzeit und knarzt bei jedem Schritt – ein Geräusch, das Stammgäste als „Stimme der Flut“ bezeichnen.

Im Zentrum der Brauerei steht heute der kupferne Doppelkessel, in dem ausschließlich ein bernsteinfarbenes Lagerbier gebraut wird. Dieses Bier – schlicht als „Ruppiner Flut“ bezeichnet – ist für seine ausgewogene Hopfennote, eine leichte Honigsüße und einen weichen Abgang bekannt. Der Hopfen stammt überwiegend aus Klodorf, das Malz wird in Langhaus gemälzt, das Wasser stammt aus einem 27 Meter tiefen Brunnen im Innenhof, der durch eine hölzerne Pumpe gefördert wird. Der Brauprozess erfolgt größtenteils von Hand, unterstützt durch mechanische Vorrichtungen aus der Vorkriegszeit. Im Gärkeller hängen emaillierte Schilder mit den Namen der Sudtage – die beliebteste Charge, „Sud 32“, wurde bislang dreizehn Mal wiederholt und gilt als Referenz für das Haus.

Geleitet wird die Brauerei heute von Igo Lemstorf, einem Nachkommen der früheren Kornhändler, der die Brauschule in Zentodorf besucht hat und als streng, aber fair gilt. Er setzt auf langsame Gärung, lange Lagerzeit und keine Filtration. Das Bier ist unfiltriert, leicht hefetrüb und wird nur in Holzfässern oder in dickwandigen Bügelverschlussflaschen verkauft. Der Ausschank im alten Verladekran am Westgiebel dient als Schankraum mit Blick über die Felder. Dort steht eine lange Holztheke, hinter der Stammgast Olan „der Brettner“ ehrenamtlich zapft – ein ehemaliger Schiffszimmermann, der behauptet, jedes Fass an seinem Klang zu erkennen.

Stammgast Olan „der Brettner“ zapft ehrenamtlich

Die Brauerei produziert ausschließlich für den lokalen Markt. Der größte Abnehmer ist das Gasthaus „Zur Bitterkeit“ in der Ruppiner Altstadt, außerdem werden ausgewählte Feste beliefert, darunter das „Bierliche Wochenende“ in Wansow und das Sommernachtsgelage in Langhaus. Besucher können an Führungen teilnehmen, bei denen sie den Brauvorgang verfolgen, historische Etiketten vergleichen und am Schluss ein Glas „Flut“ im Malzraum genießen. Dort stehen noch alte Säcke mit Gerstenstaub, die als Duftbarriere dienen – laut Lemstorf „gegen städtische Eile und für langsame Gedanken“.

Im Dachgeschoss befindet sich ein kleines Archiv mit Braubüchern, getrockneten Hopfenproben und einem Wandgemälde, das die erste große Zento-Flut von 1861 zeigt, bei der ein Fass Flutbier bis nach Klodorf trieb – unversehrt, versiegelt und trinkbar. Dieses Ereignis gilt seither als Ursprung der „Flutprobe“, bei der jährlich ein Fass in den Zento geworfen und stromabwärts eingesammelt wird. Wer das Fass findet, darf ein Jahr lang kostenfrei trinken – allerdings nur vor Ort, direkt aus dem Zapfhahn im Verladekran.