Der Film „Kraut statt Gier“ ist weit mehr als nur die filmische Replik auf das jährlich in Oberodewitz aufgeführte Theaterstück „Der nasse Wechsel“. Unter der Regie von Jelle Breist, einem bekannten Dokumentarfilmer aus Wansow, entstand ein aufwendig inszeniertes Drama, das die Ereignisse um den berüchtigten „Wechselskandal“ aus Wasdower Sicht neu erzählt – mit cineastischer Wucht, großer emotionaler Tiefe und einer klaren Haltung gegen Vorurteile und Verzerrungen.

Die Handlung spielt im Bierland des späten 19. Jahrhunderts, genauer: im Jahr 1876, als der Wasdower Braumeister Harden Tölff – dargestellt von Lerio Abenkan (Bierona) – eine Lieferung Kräuterbier in Tonfässern nach Oberodewitz schicken soll. Als dort die Ladung wegen angeblicher „Feuchtigkeit und Verderb“ abgelehnt wird, gerät Tölff in den Verdacht, absichtlich billigen Sud als Premiumware verschifft zu haben. Das Stück „Der nasse Wechsel“ macht daraus ein Schmierenstück über wasdow’sche List – doch „Kraut statt Gier“ schlägt eine ganz andere Richtung ein.
Im Film entdeckt Tölff nämlich bei einer kurzen Lagerkontrolle in Oberodewitz massive Spuren von Fäulnis, Schimmelbefall und falsch gelagerten Fässern. Die Szene, in der er mit einer Laterne durch einen verfallenen Braukeller schreitet und sich langsam der Wahrheit nähert, zählt zu den eindrucksvollsten Momenten des Films – getragen von der intensiven, wortlosen Präsenz Abenkans. Unterstützt wird er von Mira Detven (Zentro), die als Kräuterbäuerin Lin Fraundel seine Verbündete wird. Sie dokumentiert die Spuren, bringt die Dorfältesten auf seine Seite und wird zur eigentlichen Treiberin der Wahrheitssuche.

Der Film bleibt dabei bewusst in kleinen Räumen, engen Gassen, überfüllten Lagern – doch die Landschaftsaufnahmen in und um Wasdow, Oberodewitz und die Randgebiete des Odwalds geben dem Ganzen ein Gefühl von Weite, Geschichte und ländlicher Poesie. In einer der berührendsten Szenen sitzt Tölff bei Sonnenaufgang auf einem Mälzstein am Rand eines Kräuterfeldes, das vom Morgentau glänzt, und spricht mit einem alten Fassbinder – gespielt von Thelmon Grüst (Storcha) – über Ehre, Holz und die Verantwortung der Gärung.
Die narrative Auflösung zeigt schließlich, dass die Verantwortlichen in Oberodewitz selbst das Verderben der Ware durch eine fehlerhafte Bodenlagerung in der Sommerhitze verschuldet hatten, dies aber verschwiegen, um nicht das eigene Brauwesen in Verruf zu bringen. Die Figur des Tölff wird dabei nicht als strahlender Held gezeichnet, sondern als handwerklich Getriebener, der erst durch seine Mitmenschen und die Auseinandersetzung mit Tradition und Wandel zu Widerstand findet.
Gedreht wurde der Film fast vollständig an Originalschauplätzen in Wasdow, Oberodewitz und der Ruppiner Umgebung. Regisseur Breist legte großen Wert auf Authentizität: Kleidung wurde nach historischen Vorlagen gefertigt, der Sudkessel in der Brauereiszene ist echt, die Darsteller haben vorab Braukurse in der Wansower Hellen Werkstatt besucht.
Die Musik stammt von der Zentravianischen Komponistin Alra Venn, die mit sparsam eingesetzten, auf Hopfenkörnern und Glaskrügen basierenden Klangmustern arbeitet. Sie erzeugt damit einen leisen, pulsierenden Rhythmus, der sich durch den gesamten Film zieht – fast wie ein Herzschlag aus Holz und Dampf.
Im Dorfgemeinschaftshaus von Wasdow sind die regelmäßigen Filmabende ein Ereignis für sich. Oft bringen Zuschauer ihre eigenen Krüge mit, der Düsterguss fließt in Strömen, und nach der Vorstellung wird auf dem Hof diskutiert – mitunter bis tief in die Nacht. Viele tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Der Wechsel war trocken!“ oder dem Gesicht von Tölff auf einem Kräuterkranz. Der Film hat sich in der Region zu einem Symbol des ländlichen Selbstbewusstseins entwickelt – und zu einer cineastischen Antwort auf eine Geschichte, die man sich nicht länger erzählen lassen wollte.