Die Santa-Clara-Kapelle liegt mitten im Dorf Zwitschi am Birkenweg 12, eingerahmt von einem kleinen Vorplatz, auf dem sich an Markttagen Händler mit ihren Ständen drängen. Das Gebäude besteht aus grob behauenem grauen Bruchstein, der in den Wintermonaten feucht nach Moos riecht und im Sommer die Wärme der Sonne speichert. Das Satteldach ist mit dunklen Schieferplatten gedeckt, die an den Rändern leicht unregelmäßig wirken, als hätte der Dachdecker beim letzten Sturm notdürftig reparieren müssen. Über dem Eingang ragt ein schlichtes Holzkreuz, das im Frühling oft von den Kindern des Dorfes mit Blumenranken geschmückt wird. Die Holztür, mit Eisenbändern verstärkt, knarrt hörbar, wenn sie geöffnet wird, und gibt den Blick frei auf einen schmalen Mittelgang.
Im Inneren ist die Kapelle schlicht, aber warm. Rechts und links vom Gang stehen zehn hölzerne Bankreihen, deren Sitzflächen vom jahrzehntelangen Gebrauch glattpoliert sind. Das Licht fällt durch vier schmale, hohe Fenster mit bunt gefassten Bleiglasbildern, die Szenen aus dem Leben der Heiligen Clara zeigen: Clara, wie sie auf Reisen eine Brücke überquert; Clara, wie sie Kranke segnet; Clara, wie sie mit einem einfachen Wanderstab vor einem Stadttor steht. Der Altar aus hellgrauem Sandstein ist schlicht gehalten. Darauf steht eine geschnitzte Figur der Heiligen, in brauner Kutte und mit einem kleinen Buch in der Hand, das leicht geöffnet ist, als wollte sie gerade einen Satz lesen. Neben dem Altar hängt ein einfaches Messingkreuz, dessen Oberfläche vom Berühren blank ist.

An der Nordwand hängt ein schmales Regal, das als Tauschbibliothek dient – eine Idee von Pater Johann, um den Lesefreunden im Dorf auch außerhalb der Gemeindebücherei eine kleine Auswahl zu bieten. Auf einem kleinen Holztisch am Eingang steht eine Spendenbox, daneben liegen Kerzen, die man gegen einen kleinen Beitrag entzünden kann.
Pater Johann, mit vollem Namen Johann Brinker, ist ein gebürtiger Zwitschianer, der als jüngster von vier Brüdern auf einem kleinen Bauernhof am Rand des Askevann-Tals aufwuchs. Nach der Schule ging er ins Priesterseminar in Butha, wo er neben Theologie auch Kirchenmusik studierte. Seine erste Pfarrstelle hatte er in Iota, einer kleinen Küstengemeinde im Nudelland, wo er lernte, Gottesdienste bei Wind und Regen unter freiem Himmel zu halten, wenn das Kirchendach mal wieder undicht war. Vor zehn Jahren kehrte er nach Zwitschi zurück, um hier die Kapelle Santa Clara zu betreuen. Johann ist bekannt für seine ruhige Stimme, die selbst dann freundlich klingt, wenn er streng ermahnt. In seiner Freizeit backt er Sauerteigbrot, das er manchmal im Plauderecke Café verschenkt.

Eine oft erzählte Anekdote aus seinem Dienst in Zwitschi betrifft den Winter von 2018, als die Heizungsanlage der Kapelle ausfiel. Anstatt die Gottesdienste abzusagen, ließ Johann die Bänke mit Decken aus der Weberei „Der Stofftraum“ ausstatten und verteilte an alle heißen Apfelpunsch. Die Messe fand bei Kerzenschein statt, und einige Gemeindemitglieder meinten später, es sei der schönste Gottesdienst ihres Lebens gewesen.
Derzeit beschäftigt sich Pater Johann intensiv mit seiner Predigt für den 17. August 2025. An diesem Sonntag will er über Matthäus 13,44–46 sprechen: das Gleichnis vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle. Johann liest den Text immer wieder, oft abends bei Kerzenlicht in der Sakristei. Er denkt darüber nach, wie Menschen heute ihre „Schätze“ definieren und welche Perlen sie suchen – nicht nur materiell, sondern in Freundschaften, in Zeit füreinander oder im Mut, neue Wege zu gehen. Für ihn selbst sind diese Verse auch eine Erinnerung daran, dass der Wert einer Sache manchmal erst sichtbar wird, wenn man bereit ist, etwas anderes aufzugeben. In seinen Notizen steht ein Satz, den er vielleicht in die Predigt aufnehmen wird: „Mancher Schatz liegt nicht verborgen, weil er vergraben wurde, sondern weil wir verlernt haben, ihn zu erkennen.“

Johann plant, die Predigt mit einer kleinen Geschichte aus Zwitschi zu verbinden: dem Fund einer alten Bibel aus dem 18. Jahrhundert, die vor einigen Jahren bei Renovierungsarbeiten im Dachstuhl der Kapelle entdeckt wurde. Sie war zwischen zwei Holzbalken geklemmt, eingewickelt in Leinen. Niemand wusste, wie sie dorthin gekommen war. Für Johann ist diese Bibel ein Sinnbild dafür, dass Schätze oft mitten unter uns liegen – und dass es sich lohnt, genauer hinzusehen.
Auch die Vorbereitungen für den Gottesdienst laufen. Die Fenster werden gereinigt, und Christa Steinbach aus der Weberei näht neue Altartücher. Die Ministranten proben den Einzug, und die kleine Kirchenband, die von Lorenzo Bianchi unterstützt wird, übt eine neue Vertonung des Bibeltextes. Johann selbst überlegt, ob er einen Teil der Predigt im Stehen vor den Bänken halten soll, um den Blickkontakt zu verstärken.
Die Santa-Clara-Kapelle ist für Zwitschi mehr als ein Gotteshaus. Sie ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen – zum Beten, zum Singen, zum Zuhören. Und Pater Johann ist mehr als ein Priester; er ist ein Teil der Geschichten, die hier erzählt werden, und der stillen Schätze, die im Leben des Dorfes verborgen liegen.