Im Pfarrgarten der St. Marienkirche in Wethau weht heute Abend nicht nur der Duft von Holzkohle durch die Linden, sondern auch eine spürbare Aufbruchstimmung. Der Gemeindekirchenrat hat sich zu einer außerordentlichen Sommersitzung zusammengefunden, und nachdem die letzten Punkte der Tagesordnung abgearbeitet sind, rücken die Stühle näher ans Feuer. Ein Grillabend steht an, der zugleich ein kleines Fest der Gemeinschaft werden soll.
Pfarrerin Johanna Klose, seit fünf Jahren Seelsorgerin in Wethau, hat die Initiative ergriffen. Sie ist eine Frau Mitte fünfzig, bekannt für ihr herzliches Lachen und ihre unermüdliche Energie. Neben der Bibel und der Predigtmappe hat sie heute eine große Kühltasche mitgebracht, gefüllt mit Würsten verschiedener Sorten, Mineralwasser, Apfelschorle und ein paar Flaschen Limonade. „Damit niemand verdurstet und keiner leer ausgeht“, sagt sie, während sie die Gläser auf den alten Holztisch im Pfarrgarten stellt.

Gleich daneben hantiert Marco Geyer, ein kräftiger Mann in den Vierzigern mit einer Vorliebe für praktische Lösungen. Als gelernter Tischler aus der Nebelitzallee hat er nicht nur die Paprika-Hühnerspieße vorbereitet, sondern auch ein improvisiertes Schneidebrett aus Restholz mitgebracht. Jeder darf seine Spieße selbst stecken, die bunten Paprikawürfel liegen ordentlich sortiert in einer Schale, daneben marinierte Hühnerstücke, die nach Knoblauch und Zitronensaft duften. „So bleibt jeder kreativ“, meint Marco, während er schon die ersten Spieße über die Glut legt.
Annemarie Rösch, eine pensionierte Grundschullehrerin, hat Grillkäse in dünnen Scheiben eingepackt. Sie kennt die Vorlieben der vegetarischen Mitglieder und legt Wert darauf, dass auch sie nicht nur Beilagen essen müssen. Gemeinsam mit der jungen Grafikdesignerin Clara Hoffmann, die Tomate-Mozzarella-Platten vorbereitet hat, arrangiert sie die Käseportionen auf einem Teller, den sie mit Basilikum aus ihrem Garten verziert. Clara ist erst vor Kurzem aus Teichstedt nach Wethau gezogen und fühlt sich in der Gemeinde schnell zuhause.
Nicht jeder wusste im Vorfeld, was er beisteuern würde. So stand Maria Lehne, die sonst für ihren Fleiß im Kirchenchor bekannt ist, etwas ratlos in ihrer Küche. Schließlich hat sie improvisiert: Sie bringt einen Korb mit, aus dem beim Auspacken verschiedene Kleinigkeiten erscheinen – von eingelegten Gurken bis zu einer selbstgemachten Kräuterbutter. „Es ist halt ein bisschen durcheinander“, meint sie entschuldigend, doch alle greifen sofort zu.
Der Nudelsalat stammt von Ingrid Bäumler, einer Frau mit großer Liebe zu ordentlichen Listen. Sie hat alles penibel geplant, von den Zutaten bis zum Zeitpunkt, wann sie den Topf vom Herd nehmen musste. „Al dente, sonst kann ich es nicht essen“, erklärt sie lachend, als die erste Schüssel auf dem Tisch landet. Daneben gesellt sich Jan Ole Fritsch, ein Student aus Wethau, der Knüppelteig mitgebracht hat. Die langen Stöcke lehnen schon an der Kirchenmauer, und bald wickeln die ersten Kinder den Teig darum, um ihn über die Glut zu halten.
Nicht fehlen darf auch das Rohkostbuffet: Gurkenstäbchen, Möhren und Paprikastreifen, dazu kleine Gläser mit Senf und Ketchup. Verantwortlich dafür ist Elisabeth „Lisi“ Dorn, die in Wethau den kleinen Dorfladen „Bei Liesel“ führt. Sie ist pragmatisch und sorgt dafür, dass keiner ohne Sauce dasteht.

Kurz vor Beginn hatte es eine kleine Diskussion gegeben. Der Kantorei-Kühlschrank im Kirchenkeller ist gut gefüllt, und darin stehen mehrere Kisten Bier, die eigentlich für das Herbstkonzert vorgesehen sind. „Dürfen wir das heute anzapfen?“, fragte einer vorsichtig. Die Antwort fiel typisch für Wethau aus: Solange man nachher wieder auffüllt, ist alles in Ordnung. Schließlich will man weder den Gesang noch die Stimmbänder der Kantorei gefährden.
Die Stimmung im Pfarrgarten steigt, als die Sonne langsam hinter den Emberwood-Wald sinkt. Kinder laufen zwischen den Beeten hin und her, ältere Gemeindemitglieder sitzen auf den alten Holzbänken, die schon seit Jahrzehnten hier stehen. Die Gespräche wechseln von ernsthaften Themen – wie den anstehenden Reparaturen am Kirchendach – zu leichten Anekdoten aus dem Dorfleben.
Henrik Ölander, der Ortschronist, ist ebenfalls dabei, auch wenn er kein offizielles Mitglied des Gemeindekirchenrats ist. Mit einem Notizbuch in der Hand schreibt er eifrig mit, als wolle er diesen Abend schon für die Dorfgeschichte festhalten. „In fünfzig Jahren wird man wissen, wer die besten Spieße gemacht hat“, witzelt er, und die Runde lacht.
Später, als die Dämmerung hereinbricht, wird das Feuer im Grill noch einmal angefacht. Der Rauch zieht in Richtung der St. Marienkirche, deren Turm im Abendrot leuchtet. Ein paar Jugendliche, die sonst nur selten bei Sitzungen auftauchen, kommen neugierig vorbei und lassen sich von Jan Ole einen Knüppelteig reichen. Die Gemeinde wächst an diesem Abend ein Stück näher zusammen – nicht durch lange Protokolle, sondern durch einfache Speisen und das gemeinsame Sitzen am Feuer.
Die Pfarrerin erhebt noch ein Glas, diesmal nicht mit Wein, sondern mit Apfelschorle, und sagt: „Manchmal brauchen wir keine großen Beschlüsse, sondern nur einen Abend wie diesen. Damit wir wissen, wofür wir zusammenhalten.“
So endet die Sommersitzung des Gemeindekirchenrats von Wethau nicht im Gemeindesaal, sondern unter freiem Himmel, begleitet vom Zirpen der Grillen, dem Knistern der Glut und dem Gelächter derer, die beschlossen haben, dass Gemeinschaft mehr ist als nur Verwaltung.
Dieser Grillabend wird sicher nicht in den offiziellen Kirchenprotokollen stehen. Aber er wird in den Köpfen derer bleiben, die an diesem Abend die Pfarrgartenbank teilten, den Rauch in den Augen spürten und sich doch reich beschenkt fühlten – von Nachbarschaft, Freundschaft und einer Kirche, die mitten im Leben steht.