Die Thingwiese am Rand von Tsitsa ist einer der eindrucksvollsten Orte im Landkreis Nassfeld, weil sie Geschichte, Legende und heutiges Dorfleben miteinander verknüpft. Sie liegt auf einer grasigen, leicht erhöhten Zunge, die sich von den Feldern aus in Richtung des Dorfes schiebt. Der Platz ist von weitem sichtbar, da hier keine Bäume wachsen und das Gelände leicht über die Umgebung hinausragt. In seiner Mitte ruht der Dreischwerterstein, ein massiger Granitfindling, den die Eiszeit hierhergetragen hat. Er ist an seiner Oberfläche glatt verwittert, doch drei tiefe Einkerbungen, die wie Schwertklingen wirken, durchziehen den Stein. Diese Rillen sind unregelmäßig, aber deutlich erkennbar und haben sich tief in das kulturelle Gedächtnis der Dorfbewohner eingeschrieben.

Nach der Überlieferung fanden hier im 10. Jahrhundert die Versammlungen der Siedler statt. Man traf sich auf der Thingwiese, um Streitigkeiten zu klären, Verträge zu schließen und Recht zu sprechen. Der Stein diente dabei als sichtbares Symbol der Ordnung: Wer seine Hand auf eine der eingekerbten Klingen legte, war an die Entscheidung der Gemeinschaft gebunden. Bis heute erzählen ältere Dorfbewohner Geschichten davon, wie Bauern ihre Grenzen hier mit einem Schwertschlag besiegelten oder wie Schuldfragen vor der Gemeinschaft ausgetragen wurden.

Archäologische Untersuchungen haben die Bedeutung des Ortes unterstrichen. In der Umgebung der Thingwiese wurden Schlackenreste gefunden, die auf Eisenverarbeitung hindeuten, sowie eiserne Bootsnieten. Beides spricht dafür, dass in der Nähe Handwerker siedelten, die sowohl Schmieden als auch Schiffbau betrieben. Diese Funde lassen vermuten, dass der Dreischwerterstein nicht nur Ort des Rechts, sondern auch Treffpunkt von Fachleuten und Händlern war, die ihr Wissen und ihre Arbeit im Austausch miteinander verbanden.

Im heutigen Dorfleben ist die Thingwiese weit mehr als ein historischer Erinnerungsort. Sie ist eine Stätte der Begegnung, auf der Feste gefeiert werden. Besonders das jährliche Schwertfest zieht Besucher aus Tsitsa und den Nachbardörfern an. Tagsüber finden Spiele für Kinder statt, etwa das „Steinschlagen“, bei dem kleine Holzschwerter gegen eine Nachbildung des Dreischwertersteins geführt werden. Abends werden Geschichten erzählt, begleitet von Musikgruppen, und Bäcker aus Tsitsa bringen das „Schwertbrot“ – lange, schmale Laibe mit eingeritzten Linien. Bei Dunkelheit brennen Feuerkörbe rund um den Stein, und die drei Klingen wirken, als würden sie im Schein der Flammen leuchten.

Auch im Alltag bleibt die Thingwiese lebendig. Jugendliche nutzen sie als Treffpunkt, Familien machen dort Picknicks, und ältere Bewohner gehen am Abend spazieren, um die Ruhe des Platzes zu genießen. Manche Dorfbewohner deuten das Wasser, das sich nach Regen in den Rillen sammelt, als „Tränen des Steins“ und sehen darin ein Zeichen für eine gute Ernte.

So ist die Thingwiese mit dem Dreischwerterstein ein doppelter Ort: einerseits ein Relikt aus der frühen Rechtsgeschichte des Seelandes, andererseits ein aktiver Bestandteil des heutigen Dorflebens. Wer Tsitsa besucht, erlebt hier nicht nur eine historische Stätte, sondern auch einen Platz, an dem sich die Gemeinschaft in Festen, Erzählungen und Alltäglichkeiten immer wieder neu formt.