Der 16. September 2025 begann in Golden Gate für Friedrich Bauer um 7:09 Uhr, als der Wecker auf dem kleinen Nachttischschemel zu klingeln begann. Es war derselbe Wecker, den er schon seit Jahren besaß, ein schlichtes graues Modell mit digitaler Anzeige, dessen Piepton weder angenehm noch wirklich störend war, sondern einfach seinen Zweck erfüllte. Er streckte die Hand aus, tastete nach dem Knopf und richtete sich mühsam im Bett auf. Der erste Blick fiel auf den Heizkörper an der Wand, und er dachte, wie an jedem Morgen, dass er seit Wochen nutzlos war – nicht weil er kaputt wäre, sondern weil die Wohnung seit sieben Wochen kein warmes Wasser mehr führte.
Der Gang ins Bad war damit ein Ritual, das eine gewisse Überwindung erforderte. Er drehte den Hahn auf, wartete kurz, obwohl er wusste, dass es nichts änderte, und stellte sich dann unter das kalte Wasser. Ein stechendes Gefühl kroch über seinen Rücken, die Haut zog sich zusammen, er sog die Luft ein, und doch dauerte die Dusche nicht länger als zwei Minuten. „Gewöhnt man sich daran?“, fragte er sich oft. Vielleicht ein bisschen, aber nie vollständig. Er trocknete sich hastig ab, schlüpfte in die Jeans, die er am Abend zuvor über den Stuhl gelegt hatte, und setzte sich in der Küche an den kleinen Tisch. Seine Frau hatte Kaffee aufgebrüht; das Aroma erfüllte den Raum, während die Tochter schon mit dem Ranzen neben der Tür stand und auf den Schulweg wartete.

Der Vormittag gehörte der Büroarbeit. Friedrich arbeitete im Wohnzimmer am Schreibtisch, der an der Wand gegenüber dem Bücherregal stand. Auf dem Tisch stapelten sich Rechnungen, Lieferlisten und Kataloge der Verlage. Die Arbeit bestand aus vielen kleinen Handgriffen: Bestellungen für Kunden prüfen, Neuerscheinungen notieren, Rechnungen sortieren und abheften. Ab und zu bimmelte sein altes Festnetztelefon, wenn ein Verlag nachhakte oder ein Kunde im Laden anrief. Die Stunden vergingen monoton, unterbrochen nur durch den zweiten Kaffee, den er sich gegen halb zehn einschenkte. Durch das geöffnete Fenster drangen die Geräusche der Sunrise Lane herein – das Klacken von Schritten, ein Fahrradklingeln, das Hupen eines Lieferwagens, der in zweiter Reihe hielt.

Kurz vor Mittag klappte er den Laptop zu. In der Küche standen die Reste vom Vortag bereit: Kartoffeln, etwas Fleischsoße, dazu Blumenkohl, der frisch gekocht war. Seine Tochter stochte mit der Gabel im Gemüse und seufzte, woraufhin seine Frau schmunzelte und meinte, dass man eben nicht jeden Tag Nudeln haben könne. Das Gespräch drehte sich um die bevorstehende Geschichtsarbeit der Tochter. Friedrich hörte aufmerksam zu, fragte nach, ob sie die Jahreszahlen schon konnte, und bot an, am Abend nach der Probe noch eine Abfrage zu machen. Sie rollte mit den Augen, stimmte aber halbherzig zu.
Nach dem Essen verabschiedete er sich und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Buchhandlung. Der Laden lag nicht weit entfernt, in einer Seitenstraße unweit der Kathedrale St. Christophorus. Auf dem Weg kam er an der alten Bibliothek vorbei, deren Fassade bröckelte, und am Gemeindehaus, in dem bereits Plakate für eine Ausstellung im Schaufenster hingen.
Der Nachmittag im Laden verlief ruhig. Nur wenige Kunden fanden den Weg hinein. Eine ältere Dame stand lange vor dem Regal mit den Klassikern, suchte schließlich nach einem bestimmten Roman, den sie vor drei Jahrzehnten gelesen hatte. Friedrich versprach, nach einer antiquarischen Ausgabe Ausschau zu halten, und notierte den Titel sorgfältig in sein Bestellbuch. Ein Student kam mit einem Stapel Notizzettel herein und bat um Fachliteratur für ein Seminar über mittelalterliche Handelsrouten; er war überrascht, wie viele der Titel Friedrich sofort aus dem Gedächtnis aufzählen konnte. Schließlich kam ein Stammkunde vorbei, der stets nach neuen Biografien fragte und diesmal mit einem Band über einen Philosophen der Aufklärung nach Hause ging.

Zwischen den Kundenbesuchen hatte Friedrich Zeit, die Auslage auf dem großen Holztisch in der Mitte neu zu gestalten. Er sortierte die Neuerscheinungen, rückte die Stapel zurecht und wischte Staub von den Regalen. Die Buchhandlung war für ihn mehr als nur Arbeitsplatz, sie war eine Art zweites Wohnzimmer, in dem er sich gerne aufhielt, auch wenn der Umsatz nicht immer glänzte.
Um Punkt 17 Uhr schloss er die Tür ab. Das vertraute Geräusch des Schlüssels im Schloss markierte das Ende seines Arbeitstages im Laden. Auf dem Heimweg fiel ihm ein Mann mit einem kleinen Hund auf, der vor der Kathedrale stehen blieb und den Turm hinaufblickte, als sähe er ihn zum ersten Mal. Friedrich dachte daran, dass er den Turm in- und auswendig kannte, und schmunzelte über die Überraschung, die andere Menschen empfanden.
Zu Hause legte er die Jacke ab, stellte die Schuhe ordentlich neben die Tür und trat ans Fenster, wo die Schatten länger wurden. Seine Frau bereitete ein kleines Abendessen vor, Brot und Aufschnitt, nichts Aufwendiges. Während sie aßen, summte er leise die Tenorstimme aus einem Stück, das auf dem Programm stand. Die Tochter verzog das Gesicht und neckte ihn: „Papa, du verfehlst den Ton!“ Er lachte, nahm den Spott gelassen und meinte, dass er in der Probe sicher besser klingen würde.

Als die Dämmerung hereinbrach, machte er sich auf den Weg zur Kathedrale. Er kannte den Rhythmus dieser Abende gut: Zunächst das Einsingen im kühlen Kirchenschiff, das Echo der Stimmen unter dem Gewölbe, dann die strengen, aber ermutigenden Anweisungen von Kantorin Giorgia Russo, die mit präzisen Handbewegungen den Chor lenkte. Friedrich liebte diese Proben, auch wenn sie anstrengend sein konnten. Sie bedeuteten für ihn mehr als nur Musik; sie waren Gemeinschaft, ein Teil seines Lebens, der ihn aus dem Alltag herausholte.
Nach der Probe war es wie immer: Man blieb zusammen, setzte sich in den Gemeindesaal nebenan, wo Bier ausgeschenkt wurde. Die Stimmen waren müde vom Singen, aber die Gespräche lebendig. Es wurde über Musik geredet, über Alltägliches, über kleine Neuigkeiten aus der Stadt. Friedrich wusste, dass diese Runde ihn noch eine Weile wach halten würde, aber er freute sich darauf.
So verlief sein 16. September: ein Tag ohne besondere Höhepunkte, getragen von Routinen, Pflichten und kleinen Begegnungen. Ein Tag, wie er ihn kannte, wie er ihn oft erlebte, und doch nicht wertlos. Denn zwischen kalter Dusche, Blumenkohl, Rechnungen und leisen Chorproben lag ein Rhythmus, der sein Leben ordnete und ihm Halt gab.