Am westlichen Rand des Marktplatzes von Zajin, dort, wo die Pflastersteine in einer leichten Kurve dem Lauf des Flusses folgen, liegt ein unscheinbares Haus mit grün gestrichenen Fensterläden und einem Schild aus Zinn: „Bogenstube Kolski – seit 1898“. Das Gebäude steht direkt am Zajinbogen, nach dem es benannt ist, und hat über vier Generationen hinweg seine Funktion kaum verändert. Es war immer Gasthaus, Treffpunkt und Ort für einfache, kräftige Speisen – und in gewisser Weise das kulinarische Gedächtnis der Stadt.
Die Bogenstube verdankt ihren Namen nicht nur ihrer Lage, sondern auch ihrer ursprünglichen Bauform. Der Gastraum, mit einem flachen Tonnengewölbe aus Klinker, wurde um 1898 in ein ehemaliges Lagerhaus eingebaut, das einst der Fischerzunft gehörte. In den Wänden sind noch eiserne Ringe eingelassen, an denen früher Netze getrocknet wurden. Das Haus war zunächst Schankstube für Hafenarbeiter und Schleusenwärter, die nach langen Tagen am Wasser hier ihren Hering und ein Glas Flachsbier nahmen.
Die Familie Kolski führt das Gasthaus bis heute in direkter Linie. Der erste Wirt, Anton Kolski, kam um 1890 aus Western, wo er als Salzpacker gearbeitet hatte. In Zajin heiratete er eine Fischerstochter und eröffnete mit ihr die kleine Stube am Fluss. Sein Enkel Ralf Kolski, der heutige Besitzer, steht mittags selbst hinter dem Tresen. Die Einrichtung ist schlicht: Holzbänke, ein Ofen, auf dem ein emaillierter Wasserkessel steht, und ein langer Tisch aus Ulmenholz, an dem sich Gäste und Einheimische mischen.

Berühmt ist die Bogenstube für ihre Fischgerichte, allen voran die „Zajiner Heringe auf Roggenfladen“. Das Rezept ist alt und überliefert. Die Heringe werden nicht in Essig eingelegt, sondern in einer selbst hergestellten Salzlake, die die Kolskis „Bogensalz“ nennen. Es besteht aus grobem Meersalz, Pfeffer, Dill, Lorbeer, Zucker und einem Schuss Roggenbier. Die Fische liegen drei Tage darin, werden dann filetiert und auf frische, noch warme Roggenfladen gelegt – belegt mit fein geschnittenen Zwiebeln, manchmal auch etwas Flachssamenöl. Dazu gibt es Bier aus Ulmdorf oder Wasser aus der Pumpe am Marktplatz, das viele Gäste für das beste im ganzen Seeland halten.
Am Ofen hängt ein alter Eimer mit Flusskieseln – er ist Teil der Geschichte des Hauses. Früher legte man diese Steine auf die Fässer, um die Heringe beim Salzen zu beschweren. Heute ist der Eimer mehr Symbol als Werkzeug, aber die Gäste dürfen ihn anfassen, und manche legen, nach alter Sitte, einen kleinen Kiesel aus dem Zajinbach hinein – als Wunsch für gutes Wetter oder sichere Rückkehr.
Die Atmosphäre in der Bogenstube ist ruhig und vertraut. Die Fenster blicken direkt auf den Fluss, der nur wenige Meter entfernt vorbeizieht. Im Sommer stehen die Fenster offen, und der Geruch von Wasser, Salz und Brot zieht herein. Im Winter ist der Raum warm vom Ofen, und der Rauch legt sich in dünnen Schichten an die Balken. Man hört das Knistern des Feuers, das Klirren der Gläser und das gelegentliche Quietschen der Tür.
Der Gastraum selbst ist klein: acht Tische, zwölf Stühle, eine Bank unter der Wand. Über dem Tresen hängt ein altes Zunftzeichen, eine geschnitzte Fischgabel mit der Jahreszahl 1712, die laut Überlieferung aus der ersten Zajiner Fischerhalle stammt. Daneben hängen zwei Fotografien – eine von 1931, auf der Anton Kolski mit Schürze und Pfeife zu sehen ist, und eine von 1968, aufgenommen während des Hochwassers, als das Wasser bis an die Fenster reichte.

Die Speisekarte ist handgeschrieben und ändert sich kaum:
– Heringe auf Roggenfladen
– Geräucherter Aal mit Flachsbier
– Rübenbrot mit Schafskäse
– Warme Rüben mit Butter und Dill
– Sonntags: Hechtklößchen in Rahm
– Montag ist Ruhetag.
Die Zutaten stammen fast ausschließlich aus der Umgebung. Der Fisch kommt vom Zajinbach oder aus dem Kleinen Teich, das Brot liefert der Bäcker aus Achthaus, und das Bier aus der Ulmdorfer Brauerei. Im Frühjahr, wenn der Flachs geerntet wird, gibt es als Spezialität „Flachsölkartoffeln“ – kleine, in der Schale gegarte Kartoffeln mit einem Schuss kaltgepressten Flachssamenöls aus Achthaus.
Die Bogenstube ist nicht nur Gasthaus, sondern auch sozialer Ort. Hier treffen sich Handwerker, Fischer, Lehrer und Bahnarbeiter. Am späten Nachmittag, wenn die Sonne flach über den Fluss fällt, sitzen sie am Fenster, reden über den Wasserstand, den neuen Flachs oder das Konzert in der Maria-Magdalena-Kirche. Die Gäste aus Seestadt oder Unterstrand sind willkommen, doch niemand hier bemüht sich um Tourismus – die Bogenstube funktioniert in ihrem eigenen Rhythmus.
Besonderen Rang hat die Stube während der „Teichkonzerte“, die in Zajin regelmäßig stattfinden. Wenn in der Kirche Maria Magdalena Musik erklingt, bleibt die Tür der Bogenstube offen. Man hört durch das Abendlicht den Orgelklang, das Summen der Boote, das leise Gespräch der Gäste. Ralf Kolski löscht dann die elektrische Beleuchtung und lässt nur eine kleine Öllampe brennen. „Damit das Licht der Kirche hereinfallen kann“, sagt er.
Hinter dem Gastraum liegt die Küche, niedrig und eng, aber aufgeräumt. Ein alter Kohleherd steht neben einem emaillierten Spülbecken, und über der Tür hängt eine kleine Tafel mit Kreideaufschrift: „Zuerst das Wasser, dann das Salz.“ Dieser Satz war schon das Motto des Urgroßvaters – eine Anweisung fürs Heringseinlegen, aber auch eine Lebensregel: erst das Notwendige, dann das Würzende. Die Wände der Küche sind mit Kacheln aus Faultierwald verkleidet, hellgrau und leicht uneben. Ein Detail, das viele Gäste übersehen, aber das die Verbindung zwischen den Dörfern des Kreises Unterstrand sichtbar macht: Flachs, Fisch, Ton und Wasser – sie begegnen sich in der Bogenstube wie auf einer Karte der Region.
Hinter dem Haus liegt ein kleiner Garten, den man durch eine Seitentür erreicht. Er grenzt direkt an den Fluss, und auf einer niedrigen Mauer stehen zwei alte Holzfässer, die als Tische dienen. Dort sitzen im Sommer die Gäste, trinken Bier und sehen, wie das Wasser unter der Brücke verschwindet. Ein Weidenbaum neigt sich über das Ufer, und zwischen den Wurzeln liegen die Reste eines alten Ankerseils – wahrscheinlich aus der Zeit, als am Zajinbach noch Lastkähne festmachten.
Im Dorf erzählt man, dass die Bogenstube schon einmal fast aufgegeben worden wäre – 1978, als die Hochwasserlinie bis an den Tresen reichte. Damals half die ganze Nachbarschaft: Männer schaufelten Schlamm, Frauen trockneten das Holz, Kinder sammelten Kiesel aus dem Fluss, um den Eimer neu zu füllen. Seitdem gilt die Bogenstube als Symbol für Beständigkeit – ein Haus, das mit dem Wasser lebt, nicht gegen es.
Am Sonntagabend, wenn der Markt leer ist, das Wasser ruhig und der Rauch aus den Schornsteinen steigt, steht oft Musik im Raum – ein Akkordeon, manchmal eine Flöte. Dann singt jemand ein altes Lied vom Zajin, das nur hier bekannt ist:
„Am Bogen zieht das Wasser rund, / Es nimmt den Tag und bringt den Grund, / Doch bleibt, was schwimmt, im Land.“
So klingt die Bogenstube, wenn sie ganz sie selbst ist: ein Haus am Fluss, ein Gasthaus für das Notwendige, das Würzende und das Bleibende.