Fungus

Fungus (Gemeinde Darso – Landkreis Sturminsel West – Sturmland)

Fungus ist ein abgelegener Flecken im Westen des Sturminselgebirges, auf einer offenen Hochebene gelegen, 607 Meter über dem Meeresspiegel. Die Siedlung gehört zur Gemeinde Darso und zählt 71 Einwohner, die fast ausschließlich vom Anbau und der Verarbeitung von Pilzen sowie von der Wildziegenjagd leben. Die Region ist abgelegen, schwer zugänglich und geprägt von rauer Schönheit: karge Hochflächen, mit Felsdurchbrüchen und schütterem Heidebewuchs, unterbrochen von feuchten Senken, in denen Nebelpilz, Hutflechte und die seltene Gelbe Fingerkappe gedeihen.

Wer Fungus erreichen will, muss Geduld und ein geländetaugliches Fahrzeug mitbringen. Vom Küstenort Laguna aus führt der Weg zunächst durch das Tal des Kveldselv. Knapp drei Kilometer hinter Laguna zweigt links die steile Straße ins Traumquellental ab, die sich in engen, teils ausgewaschenen Serpentinen über den Gebirgskamm windet. Sie führt an der Hütte am Ulmberg vorbei und weiter nach Lachwitz. So weit fahren wir aber nicht, wir biegen nach drei Kilometern nach links in einen unbefestigten Weg ab, der durch grobes Gestein führt und schließlich in Fungus endet, es sei denn man biegt noch einmal ab und fährt nach Pilza.

Fungus selbst wirkt wie aus der Zeit gefallen. Die Gebäude sind niedrig, aus dunklem Holz gezimmert, mit dicken Torfaufschichtungen auf den Dächern. Viele der Häuser tragen Pilzzeichen über dem Eingang – stilisierte Morcheln, Schnecklinge oder Großkappen –, um anzuzeigen, auf welche Sorte sich die jeweilige Familie spezialisiert. Die Pilzzucht ist hier nicht bloß Erwerbsquelle, sondern Teil des Selbstverständnisses. Gezielt angelegte Feuchtfelder, überdacht mit lichtdurchlässigen Tüchern oder in unterirdischen Kammern, dienen der kontrollierten Kultivierung. Besonders bekannt ist der „Fungusdunkelling“, ein fleischiger, grauvioletter Pilz mit festem Fleisch und erdigem Aroma, der in der Küche von Darso wie auch auf den Märkten in Antlas begehrt ist.

Parallel zur Zucht betreiben einige Familien Wildziegenjagd in den höheren Lagen. Die Tiere leben halbwild zwischen Felsen und Latschenkiefern. Die Jagd ist körperlich fordernd und erfolgt fast ausschließlich zu Fuß, mit leichter Ausrüstung und meist in den frühen Morgenstunden. Das Fleisch wird vor Ort gepökelt oder getrocknet, die Häute zum Teil noch traditionell gegerbt. Ein kleiner Betrieb – „Wildwerk Fungus“ – verkauft daraus gefertigte Westen und Handschuhe, deren Leder im Geruch nach Wacholder (und leicht nach Ziege) erinnert.

Das Zentrum des Ortes bildet eine gepflasterte Fläche mit einer überdachten Tauschhütte, in der Körbe mit Pilzen, Wildkräutern und Konserven deponiert werden. Ein einfaches Holzschild regelt den Ablauf: „Wer nimmt, bringt auch“. In der alten Schule – geschlossen seit 2008 – findet einmal im Monat ein Dorfabend statt, mit Vorträgen, Geschichten und Pilzverkostungen. Dort steht auch eine Sammlung von Fundstücken aus dem Gebiet: Hornsplitter, Fossilien, getrocknete Moose, ein altes Jagdhorn mit verbogenem Schallstück.

Fungus hat keine Gastwirtschaft, aber wer klopft, wird nicht abgewiesen. Die Bewohner sind zurückhaltend, aber hilfsbereit – insbesondere bei Pilzvergiftungen, die bei durchreisenden Sammlern immer wieder vorkommen. In solchen Fällen wird meist Eira Krass angerufen, eine Pilzberaterin aus Antlas, die in Fungus lebt und alle heimischen Arten kennt. Ihr Haus erkennt man an der getrockneten Pilzgarbe über der Tür und der schwarzen Ziege im Hof.

Viele der Pilzanlagen von Fungus liegen allerdings verstreut in der Umgebung: in Felsspalten, Gruben, Grotten und extra angelegten Lehmhütten. Besucher sollten darauf achten, nicht unabsichtlich in eine Anbauzone zu treten – nicht aus rechtlichen, sondern aus praktischen Gründen: Der Verlust einer empfindlichen Sporenschicht ist für die Besitzer oft ein erheblicher Schaden.

Fungus ist kein Ort des Wandels. Die Uhren laufen hier mit dem Morgendunst, dem Wachstumstakt der Pilze und dem zurückhaltenden Schritt der Bergziegen. Doch gerade in dieser Abgeschlossenheit liegt die Kraft des Ortes: ein stiller, ernährungsreicher Flecken Landauri, verborgen in den Höhen der Sturminsel.