Die Kirche St. Verena in Schandau ist ein markanter Orientierungspunkt des Küstendorfes und zugleich ein Ort stiller Konzentration, der sich wohltuend vom touristischen Treiben der Sommermonate absetzt. Der schlichte, helle Bau steht unweit der Hauptstraße „Küstenstieg“, von einer niedrigen Natursteinmauer umgeben und flankiert von alten Eschen und Wildrosensträuchern, die sich im Küstenwind neigen. Der Baukörper selbst ist rechteckig, verputzt und mit einem hoch aufragenden, schlanken Dachreiter versehen, der aus dunklem Schiefer gedeckt ist. Eine kleine Glocke aus dem Jahr 1852 schlägt täglich zur Mittagszeit drei tiefe Töne – ein Ton für das Meer, einer für die Felder und einer, so heißt es, für das, was man bei sich trägt.

Die heutige Kirche stammt aus dem Jahr 1894, ersetzt jedoch einen deutlich älteren Holzbau, der nach Überlieferung bei einem Sturmhochwasser im frühen 18. Jahrhundert zerstört wurde. Archäologische Funde beim Fundamentaushub weisen auf ein Gotteshaus aus dem späten 16. Jahrhundert hin. Die jetzige Kirche wurde aus lokalem Mauerwerk und hellen, kalkbasierten Putzlagen errichtet und zeigt keinerlei historistische Spielerei – sie ist von der Formensprache eher nüchtern, beinahe zurückhaltend. Gerade dadurch hat sie über die Jahre an Charakter gewonnen, denn ihr Inneres überrascht mit einer Besonderheit, die sie weit über Schandau hinaus bekannt gemacht hat.

Fenster der Kirche St. Verena in Schandau
Fenster der Kirche St. Verena in Schandau

Im Kirchenschiff befinden sich sechs farbige Glasfenster, gestaltet zwischen 1992 und 1994 von der Glasmalerin Edda Kloß aus dem Dorf Pechtal. Kloß, selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen und in der Werkstatt ihres Onkels in den Glasmalerberuf eingeführt, verband in diesen Fenstern biblische Szenen mit Motiven aus dem ländlichen Alltag des Bierlands. So sieht man in einem Fenster den Engel bei der Verkündigung – aber er hält keine Lilie, sondern eine Sichel. Josef ist kein Zimmermann, sondern ein Pflugführer hinter zwei Ackerochsen. Die Arche Noah ruht nicht auf dem Berg Ararat, sondern auf einem hölzernen Erntewagen zwischen Hopfenstangen. In einem der Fenster ist die Speisung der Fünftausend dargestellt – doch die Fische liegen auf einem Pflanzkorb aus Weidengeflecht, und im Hintergrund erkennt man den Steg von Straßenstrand.

Diese Glasfenster geben der Kirche ihre besondere Atmosphäre. Sie sind in satten Farben gehalten, mit dezenten Bleifassungen und sehr feiner Motivzeichnung. Das Licht, das durch sie fällt, verändert sich mit der Tageszeit: Am Morgen ist es kühlblau, mittags silberhell und gegen Abend warmgolden. Besonders in der kühlen Jahreszeit, wenn das Meer grau ist und der Wind durch das Gebälk zieht, wirken die Fenster wie farbige Erinnerungsspeicher an ein gelebtes, geerdetes Christentum, das Ernte, Arbeit, Abschied und Neubeginn in sich aufnimmt.

Der Innenraum der Kirche ist einfach gehalten. Holzbänke, eine kleine Empore mit einer Orgel aus der Werkstatt von Georg Rebhuhn (gebaut 1912, restauriert 1986), ein Altar aus Sandstein mit eingelassener, glasierter Keramikplatte – vermutlich ein Werk derselben Edda Kloß – und eine Kanzel mit Holzschnitzereien von Meerestieren und Werkzeugen. Das Lesepult trägt Spuren von jahrelangem Gebrauch; ein handgeschriebener Kalender an der Sakristeiwand nennt die Namen der Lektoren, Küsterinnen und Organisten seit 1971.

Regelmäßig finden in St. Verena kleine Gottesdienste statt – nicht nur an Sonn- und Feiertagen, sondern auch zu bestimmten Anlässen im Dorfleben. Besonders beliebt sind die „Lichtandachten“ in den Wintermonaten, bei denen die Fenster durch von innen gesetzte Kerzen betont werden, während einfache Gesänge erklingen. Auch das traditionelle Heringsgebet im Frühjahr, bei dem für sichere Fahrt auf dem Meer und gutes Wetter für die Felder gebeten wird, wird hier begangen.

Die Kirche wird täglich geöffnet. In einem kleinen Vorraum steht ein Gästebuch, in das Besucher – Wanderer, Radfahrer, Schulklassen und Urlauber – Gedanken, Danksagungen und Skizzen eintragen. Dort findet sich auch eine kleine Ausstellung über das Leben der Heiligen Verena, Schutzpatronin der Bedürftigen und Kranken, sowie einige historische Fotografien der Kirche aus der Zeit um 1900.

Nicht weit vom Eingang zur Kirche, leicht hinter Sträuchern verborgen, steht ein schlichter Gedenkstein aus hellem Granit, ohne großes Kreuz, aber mit der eingravierten Inschrift: „Wind, Wasser, Weg – bewahre, was du trägst.“ Der Spruch stammt von Pfarrer Emil Gauch, der von 1946 bis 1973 in Schandau tätig war und viele der heute noch praktizierten liturgischen Bräuche begründete, darunter das Küstensegenritual zur Sommersonnenwende, bei dem Kinder mit Muscheln gefüllte Netze ans Altarlicht bringen.

St. Verena ist eine Kirche, die sich nicht aufdrängt. Sie steht da, wie vieles in Schandau: verlässlich, windgezeichnet, leise. Wer ihren Raum betritt, hört vielleicht das Rauschen des Meeres durch die Ritzen, das Klappern des Fahnenmasts draußen auf dem Platz, das Knarzen der Bank unter den Füßen. Und sieht vielleicht im Glas nicht nur Farbe, sondern die Mühen und Bilder eines Lebens, das Arbeit, Glaube und Gemeinschaft in einer Weise verbindet, die stiller ist als Worte – aber deutlicher als viele.