Das Bovist-Fest von Stadtnähe gehört zu jenen Ereignissen im Landkreis Mähnendorf, die mit keinem festen Termin im Kalender stehen, aber umso stärker im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Nur alle acht bis zwölf Jahre, meist nach einem feuchtwarmen Sommer, wenn tagelanger Regen auf die humusreichen Wiesen rund um das Dorf gefallen ist, beginnt das Warten. Und dann, manchmal über Nacht, geschieht es: Überall auf den Wiesen schieben sich helle, runde Körper aus dem Gras, glatt und prall wie weiß gewordene Fußbälle. Die Riesenboviste sind da.

1974 war das Jahr der Rekorde: 178 Exemplare wurden damals gezählt, darunter ein Exemplar mit 46 Zentimetern Durchmesser, das die drei Brüder der Stadtnäher Brauerei als Hocker benutzten, bevor es zubereitet wurde. Solche Jahre sind selten. Aber wenn sie kommen, hält das Dorf inne – und ruft das Bovist-Fest aus. Dann wird nicht lange geplant. Man hängt Zettel an die Bushaltestelle, ruft Nachbardörfer an, spannt eine Schnur mit Fähnchen über den Hof des Vierseithofs – und beginnt zu schnippeln.

Das Bovist-Fest ist kein Markt und kein offizieller Wettbewerb. Es ist eine Einladung. Jeder, der will, darf kommen. Jeder, der ein Bovist-Rezept kennt oder ausprobieren möchte, darf sich anmelden – aber die Grundregel ist klar: Das Gericht muss aus Riesenbovist bestehen.

Die Varianten sind zahlreich. Die drei beliebtesten seien hier vorgestellt:

1. Bovist-Graupen-Gratin
Ein herzhafter Auflauf, bei dem die in dünne Scheiben geschnittenen Bovistscheiben abwechselnd mit vorgekochten Graupen geschichtet und mit einem Sud aus Malzmilch, Muskat und Kümmel übergossen werden. Obenauf kommt eine Schicht gerösteter Hopfensamen, die dem Ganzen eine leichte Bitterkeit verleihen. Im alten Ofen des Vierseithofs backt das Ganze 40 Minuten. „Einmal Gratin, einmal Glanz“, sagt Bäckerin Imme Stoller, die das Rezept von ihrer Mutter hat.

2. Gefüllter Bovist mit Roggenbeeren
Ein ausgehöhlter Bovist wird mit einer Mischung aus angequollenen Roggenbeeren, Petersilienwurzel, gebratener Zwiebel, gestampftem Kochhopfen und kleingeschnittenem Speck gefüllt. Obenauf wird der Bovist mit etwas Braumalz-Bier übergossen und bei indirekter Hitze im Lehmofen gegart. Die Kruste bläht sich leicht auf, innen bleibt die Füllung saftig und würzig. Dieses Gericht stammt laut Überlieferung aus der Klosterzeit und wurde damals an Regentagen gereicht.

3. Pilzweißwurst mit Bovistkern
Ein Rezept, das polarisiert: Aus einem klassischen Brät mit Hopfenwürze und feinen Kräutern wird eine Weißwurst gefertigt, in deren Zentrum eine gedämpfte Bovistscheibe als Kern eingelegt wird. Die Wurst wird nur gedämpft, nicht gebrüht. „Der Bovist soll atmen können“, erklärt Jörg Heidinger, Metzger aus Stadtnähe, der die Wurst einst in einem Selbstversuch entwickelte. Besonders beliebt ist sie bei Kindern, die den weißen Pilzkern beim Aufschneiden entdecken.

4. Bovistlikör
Das umstrittenste Produkt des Fests. Für den Bovistlikör wird ein Ansatz aus getrockneten Bovistscheiben, Kandiszucker, Zwiebelschale, Fenchelsamen, Hopfenblüte und einem klaren Korn über mehrere Wochen im Glasballon auf der Fensterbank gelagert. Das Ergebnis ist braun, leicht trüb und besitzt eine eigenwillige Süße mit herben und leicht zwiebeligen Noten. Während manche Gäste nach dem ersten Glas einen zweiten fordern, drehen andere nur den Kopf weg. „Es ist ein acquired taste“, meint die 83-jährige Waltraud Fromme aus Stadtbad, die regelmäßig eine Flasche nach Hause nimmt.

Das Fest selbst spielt sich rund um den gepflasterten Innenhof des Vierseithofs ab. Bierbänke werden aufgestellt, ein alter Wagen dient als Bühne, und das Kinderprogramm umfasst in der Regel ein Bovistrollen-Rennen (nur mit ungenießbaren Altpilzen). Das Bier kommt aus Stadtnähe selbst – der „Frosthumpen“ der Brüderbrauerei wird bei diesen seltenen Sommerfesten in gekühlten Krügen ausgeschenkt. Meist bringt auch jemand eine Ziehharmonika mit, dann wird bis spät in die Nacht gesungen.

Im Kreisarchiv von Mähnendorf existieren Aufzeichnungen zu sechs dokumentierten Bovist-Festen seit 1949. Auf einem der alten Schwarzweißfotos sieht man eine langhaarige Bäuerin mit Stirnband, die einen Topf Bovistgraupen vor sich trägt – vermutlich das älteste Bild eines kulinarischen Pilzfestes in Bierland.

Ob 2026 wieder ein Bovistjahr wird, weiß niemand. Doch sicher ist: Die Schneidbretter stehen bereit.