
(Pop.: 548 – 35m NN)
Oberodewitz, ein Straßendorf mit 548 Einwohnern im westlichen Teil des Landkreises Ruppin, liegt auf 35 Metern über dem Meeresspiegel in der flachen, durchzogen bewirtschafteten Zentoebene. Die Siedlungsstruktur ist klar gegliedert: Eine zentrale Dorfstraße – die Karrenstraße – durchzieht den Ort in Nord-Süd-Richtung, begleitet von giebelständigen Wohnhäusern mit Stallungen, Obstgärten und alten Hofzufahrten. Die Straße verläuft leicht erhöht auf einem natürlichen Geländerücken, was bei Frühjahrsnässe stets von Vorteil war und auch heute noch gut sichtbar ist, wenn das Wasser von den Feldrändern abläuft und sich in den niedrigeren Flächen sammelt.
Oberodewitz war einst ein bedeutender Rast- und Umschlagplatz für Karren, die aus dem hügeligen Buthanischen Landrücken kamen, beladen mit Fässern, Salz, Bauholz oder Malz, um über Langhaus nach Bierona weiterzureisen. Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein war es üblich, hier Pferde zu wechseln oder Karren umzuladen, bevor es weiterging auf den durchweichten Weg Richtung Süden. Die Erinnerung an diese Zeit lebt weiter im „Alten Karrenhof“, einer aus drei Gebäuden bestehenden Anlage im Süden des Dorfs, direkt an der Weggabelung zum Bierweg West. Das ehemalige Fuhrmannshaus mit holzverschaltem Giebel beherbergt heute das Gasthaus „Zum Radlager“, dessen Gaststube noch Teile der originalen Bodenpflasterung zeigt und in dessen Nebenraum allabendlich das kupferfarbene „Karrenmärzen“ ausgeschenkt wird – ein untergäriges Bier mit malziger Tiefe, das auf offener Flamme eingemaischt wird. In der Remise daneben, einst Stellplatz für acht Gespanne, werden heute Fahrräder, Wanderstöcke und Regenumhänge deponiert. Der angrenzende Biergarten mit Blick auf eine alte Hopfenstange am Zaun ist in den wärmeren Monaten Anlaufpunkt für Wanderer und Radreisende.

Umgeben ist Oberodewitz von Feldern, auf denen Gerste, Roggen und Hackfrüchte angebaut werden, unterbrochen von kleineren Gehölzen und Hecken, die sich aus den Resten des einst weit ausgedehnten Odwalds erhalten haben. Heute ist der „Wald“ bei Oberodewitz kaum mehr als ein dicker Kranz aus Buchen, Birken und einzelnen Fichten, der sich um die Ost-, Süd- und Nordseite des Dorfes legt. Dennoch wirkt der Ort wie eingewachsen, beinahe verborgen – bis man wenige hundert Meter in irgendeine Richtung geht und sich das Land plötzlich wieder öffnet. Gerade aus der Luft betrachtet wirkt Oberodewitz wie ein Fleck im Grün, eingefasst von Acker und Geschichte.
Zentral im Dorf steht die kleine, weiß verputzte Kirche St. Branda, ein rechteckiger Bau aus dem späten 17. Jahrhundert mit Dachreiter und schindelgedecktem Turm. Die Kirche ist schlicht gehalten, mit einer geschnitzten Kanzel aus der Hand des Tischlers Lorm aus Langhaus und einer Orgel, die einst aus Greno hergebracht wurde. Sie wird nicht nur für reguläre Gottesdienste genutzt, ist auch regelmäßig Schauplatz kleinerer Veranstaltungen – etwa der „Langen Andacht“, bei der im Winter heiße Gerstensuppe und Psalmen dargeboten werden. Der kleine Friedhof nebenan trägt viele Namen aus den gleichen fünf Familien, die Oberodewitz seit Generationen prägen.
Der Ort hat trotz seiner geringen Größe eine erstaunliche Betriebsdichte. Am südlichen Dorfausgang betreibt Familie Rehbold eine kleine Mälzerei, die zwar längst nicht mehr gewerblich arbeitet, aber zu Schulfesten oder Wanderwochen geöffnet ist. Dort zeigt der alte Rehbold, wie früher die Gerste gewendet wurde, und lässt Kinder auf dem hölzernen Lüfterad sitzen. Daneben liegt die Schmiede von Terst & Sohn, die neben Hufeisen und Zaunriegeln auch regelmäßig die Metallbeschläge für Wanderkrüge anfertigt. Der Dorfladen „Gerste & Kram“ in der alten Poststelle wird von zwei Schwestern geführt, die nicht nur Alltagswaren verkaufen, sondern auch Wanderkarten, getrocknete Hopfendolden, lokale Marmelade und die berühmten „Tranklatschen“ – Kekse aus Treber und Honig, die in Pergamentpapier gewickelt sind und erstaunlich lange haltbar bleiben.

Oberodewitz ist zudem eine zentrale Station auf dem ausgeschilderten Wanderpfad „Bierweg West“, der sich von Langhaus über das Dorf bis nach Wasdow zieht. Der Pfad folgt hier in weiten Teilen dem alten Karrenweg, überquert flache Gräben, umrundet ehemalige Braustellen und passiert die Ruinen einer aufgegebenen Brennerei nördlich des Ortes. Der Pfad ist gut gepflegt und wird durch Holzschilder mit Humpensymbol markiert. Wanderer tragen dabei oft eine sogenannte Humpenkarte mit sich – ein zusammenfaltbares Heft mit acht Feldern für Stempel, die an Gasthäusern, Mälzereiresten und Bierstationen entlang des Weges vergeben werden. Wer alle Stempel sammelt, erhält im Gasthaus „Zum Trank“ in Langhaus ein Jahr lang den ersten Krug gratis – ein Anreiz, der viele auf die Strecke lockt.
Ein lokaler Höhepunkt ist der „Karrenabend“ im Juni, bei dem historische Karren aus der Region vorgefahren werden, Musiker mit Ziegenfellen auf Fässern trommeln und im Hof des „Zum Radlager“ eine Theatergruppe das Stück Der nasse Wechsel aufführt, das von einem betrügerischen Frachtvertrag zwischen Wasdow und Oberodewitz handelt. Dieses Spektakel lockt nicht nur Gäste aus der Region, sondern auch aus Bierona und vereinzelt aus dem Süden Zentravias.
Wer länger bleibt, kann sich in einer der vier Pensionen einmieten, die alle in umgebauten Hofstellen untergebracht sind. Besonders gefragt ist der „Hopfengiebel“ der Familie Krantor, dessen Gästezimmer direkt unter dem früheren Darrboden liegen. Im Innenhof stehen noch zwei Trockenreusen aus Eisen, in denen früher Hopfen getrocknet wurde. Heute trocknen dort Wandersocken und gelegentlich Birnen. Frühstück gibt es mit Gerstenbrot, Most und einem Glas „Waldgelee“, das nach altem Rezept aus Holunder, Harz und dunklem Sirup hergestellt wird.
Die Menschen in Oberodewitz gelten als wortkarg, aber zuverlässig. Viele arbeiten in Langhaus, Zentodorf oder Ruppin, einige pendeln täglich, andere bewirtschaften kleine Flächen in Nebenerwerb. Im Dorfverein sind knapp 60 Personen aktiv, man trifft sich zum Suppenabend, zur Gießgruppenversammlung oder im Humpenclub, der einmal im Monat im Feuerwehrraum zusammenkommt und dort Biere aus anderen Regionen verkostet – sofern diese auf die Maße der heimischen Gläser passen.
Oberodewitz ist kein Ort der großen Veränderungen, aber einer der fest verankerten Geschichten. Wer ihn besucht, sieht ein Dorf, das seinen Rhythmus nicht verloren hat – auch wenn die Karren längst verschwunden sind. Vielleicht ist es gerade dieser beständige Trott, der Oberodewitz ausmacht: ein Ort, an dem das Bier nie hastig getrunken wird und wo jeder Humpen ein wenig nach Weg und Weile schmeckt.
Ch.: BL1 (S: Niederodewitz, N: Folksi), BL11 (NO: Wippenow), Feldweg nach Zielitz, Wanderpfad „Bierweg West“ nach Langhaus und Wippenow