
(Pop.: 1.785 – 24m NN)
Straßendorf, mit 1.785 Einwohnern eines der größeren Dörfer im Landkreis Kreuzberg, liegt verkehrsgünstig an der Bundesstraße B4 und an der Stammbahn, in der südlichen Zento-Ebene zwischen Großtolkau und Corpus. Der Ort erstreckt sich entlang der historischen Durchfahrtsstraße BL9 von Pulkwitz nach Thalheim, die hier die B4 kreuzt und deren schnurgerade Trasse dem Dorf seinen Namen gegeben hat. Hier finden sich dichte Reihen von Bauernhöfen, kleinen Gewerbebetrieben und Wohnhäusern, die von alten Linden gesäumt sind. Viele der älteren Gebäude sind aus dem regional typischen Lehmstein errichtet, mit niedrigen Ziegeldächern und Vorhöfen, in denen sich bis heute landwirtschaftliche Arbeit mit modernen Wohnformen mischt.

Bekannt wurde Straßendorf durch den Fund des sogenannten „Kornsteins“ – eines länglichen Granitblocks mit eingeritzten Maßeinheiten und einer waagerechten Rille. Der Stein wurde bei Straßenarbeiten am Rand des alten Dorfkerns entdeckt und wird heute auf einem kleinen Platz mit Informationstafeln ausgestellt. Experten vermuten, dass der Kornstein im 16. Jahrhundert als Wiege- oder Eichpunkt für Marktware diente, bevor feste Waagen verbreitet waren. Der Platz rund um den Stein wurde in den letzten Jahren zu einem ruhigen Treffpunkt mit Sitzbänken, einem Apfelbaumhain und einem offenen Bücherregal ausgebaut.

Der Bahnhof Straßendorf liegt etwas zwei Seitenstraßen unterhalb des Ortskerns und wird regelmäßig von Zügen der Stammbahn bedient. Dort beginnt auch die Route des privaten Kleinbusdienstes „Pulkwagen“, betrieben von Jakob „Jakl“ Dross, einem ehemaligen Landwirt mit Sinn für Improvisation. Der Pulkwagen verkehrt morgens und am späten Nachmittag zwischen Straßendorf, Pulkwitz und Nonto, wobei er nicht nur Fahrgäste, sondern auch Milchkannen, Fahrräder, Körbe mit Gemüse oder Kisten Bier mitnimmt – ganz im Stil der alten Landtransporte. Wenn es nicht regnet, hält Jakl auch mal am Waldrand, um eine Mitfahrerin direkt bei ihrer Gartenparzelle aussteigen zu lassen.

Im Zentrum von Straßendorf befindet sich der alte Marktplatz, der heute als Multifunktionsfläche für Wochenmärkte, Trödel, Maifeiern und Adventsstände genutzt wird. Hier stehen auch das kleine Kulturhaus, die Dorfwirtschaft „Zum Halben Maß“ und ein Verkaufswagen, der mittwochs frischen Fisch aus Entenbad bringt. Die Dorfwirtschaft wird seit 1984 von der Familie Mohrer betrieben und ist bekannt für ihr deftiges „Bräuhack“ – ein Ragout aus Brotkruste, Zwiebeln und Rauchfleisch – und natürlich für die lokale Biersorte „Kornmaß“, gebraut in der kleinen Brauerei Straßendorf Nord, die am östlichen Dorfausgang liegt.
Die Brauerei, eine Genossenschaft von sieben Familien, entstand aus einer ehemaligen Molkerei, deren Milchkammern heute die Gärbottiche beherbergen. Das „Kornmaß“ ist ein helles, leicht malziges Landbier, das traditionell in Tonflaschen mit Korkverschluss verkauft wird. Daneben wird auch das Saisonbier „Sommerrinne“ gebraut – ein obergäriges Bier mit Kornblumen und etwas Fenchel, das besonders im Sommergarten der Brauerei beliebt ist. Die Brauerei unterhält eine kleine Schenke mit Blick auf die Felder und einen Lehrpfad über Getreidesorten, der von Kindern der Grundschule gepflegt wird.
Straßendorf besitzt eine beachtliche Infrastruktur für ein Dorf seiner Größe: Neben Grundschule und Kindergarten gibt es ein kombiniertes Gemeindezentrum mit Arztpraxis, Gemeindebüro, einem Secondhand-Laden und einem kleinen Postpunkt. Am südlichen Rand des Dorfes liegt der Sportplatz mit zwei Fußballtoren, einem Beachvolleyballfeld und einer offenen Tribüne, auf der im Sommer auch kleine Theaterstücke oder Filmabende stattfinden.

Kulturell ist das Dorf geprägt vom Zusammenspiel bäuerlicher Tradition und moderner Alltagsgestaltung. Der Männerchor „Tonstein & Scherben“, benannt nach einem alten Feldnamen, tritt regelmäßig bei Festen auf, unter anderem auch bei der Veranstaltung „StraßenLieder“, einem musikalischen Spaziergang durch das Dorf mit Stationen an alten Höfen, wo Lieder, Geschichten und Suppe geteilt werden. Die Kirche „Zum Kornsegen“, ein schlichter Backsteinbau von 1881, liegt nördlich der Durchfahrtsstraße. Sie ist weithin sichtbar durch ihren kupfergedeckten Turm mit Wetterhahn und besitzt eine bemerkenswerte Holzbalkendecke mit symbolischen Darstellungen des landwirtschaftlichen Jahreslaufs. Die Kanzel wurde aus einer alten Dreschwalze gefertigt und ist bis heute im Originalzustand erhalten.
Am Westrand von Straßendorf beginnt ein alter Fahrweg, der als „Tolkauer Steig“ bekannt ist und parallel zur B4 bis nach Großtolkau führt – vorbei an Feldern, Pappelreihen und einer stillgelegten Windmühle. Dieser Weg wird besonders im Frühling gern für Spaziergänge genutzt, wenn auf den umliegenden Wiesen Schafherden weiden und die Landwirte ihre ersten Saaten ausbringen. Eine kleine Radwegeverbindung zweigt nach Süden ab, führt in den Randbereich des Küstenwaldes und endet nach rund 10 Kilometern in Pulkwitz.
Einige Höfe am Ortsrand widmen sich heute der Direktvermarktung. Der Hof Marenke bietet Eier, Käse und Kräuter an, während der Hof Bartel eine Schafzucht betreibt und neben Lammfleisch auch gefilzte Produkte und Schafwollseife herstellt. Im Sommer gibt es Hoffeste mit Ponyreiten, Melkdemonstrationen und Brotbacken im Lehmofen.
Straßendorf verbindet auf bemerkenswerte Weise historische Substanz mit lebendiger Gegenwart. Der Kornstein erinnert an vergangene Marktzeiten, während Pulkwagen, Dorfbrauerei und Tolkauer Steig einen Alltag strukturieren, in dem Landwirtschaft, Gemeinschaft und Improvisation eng miteinander verwoben sind. Das Dorf ist keine Sehenswürdigkeit im klassischen Sinn, aber ein sehenswerter Ort – bodenständig, freundlich, lebendig und für viele im Landkreis Kreuzberg ein alltäglicher Bezugspunkt zwischen Stadt, Land und Küste.
Bahn: SB1003 stündlich 6:28 bis 21:28 nach Bierona, 6:26 – 20:26 nach Nova, 21:26 nach Komerz ob. Bf.
Ch.: B4 (W: Großtolkau 6km, O: Corpus 13km); BL9 (S: Pulkwitz, N: Thalheim)