
(Pop.: 999 – 89m NN)
Corpus liegt auf einem sanft ansteigenden Plateau zwischen der südlichen Zento-Ebene und den ersten Ausläufern des Drosener Rückens – exakt dort, wo die Bundesstraße 4 von Bierona kommend in einer breiten Kurve den kleinen Dorfkern umschließt und sich dann mit der B43 verzweigt. Diese führt östlich weiter in Richtung Scalso im Blumenland, während die B4 nach Süden Richtung Kreuzberg weiterläuft. Die Lage macht Corpus zu einem Ort des Übergangs: Zwischen Ebenen und Hügeln, zwischen Verkehrsanbindung und ländlicher Zurückgezogenheit, zwischen Bierland und dem angrenzenden Blumenland. Trotz seiner überschaubaren Größe und einer Einwohnerzahl von knapp unter 1.000 ist das Dorf ein Knotenpunkt, den täglich viele durchqueren – doch nur wenige halten an. Wer es dennoch tut, entdeckt eine bemerkenswerte Mischung aus Geschichte, dörflichem Alltag und regionaler Bedeutung.

Der Name „Corpus“ geht auf eine mittelalterliche Wegkapelle zurück, die ursprünglich „Sancti Corporis Christi“ geweiht war. Ihre Reste – eine Feldsteinapsis mit verwittertem Schlussstein – befinden sich noch immer am östlichen Ortsausgang, leicht erhöht zwischen zwei alten Linden. Der Ort wurde im 13. Jahrhundert als Raststation für Pilger und Händler erwähnt, die auf dem alten Salzweg von Zentravia ans Mare Internum unterwegs waren. Der Begriff „Corpus“ hat sich als Kurzform durchgesetzt und wird heute vor allem mit dem gut erkennbaren Ortsbild des Haufendorfs verbunden: eng stehende Wohnhäuser, kleine Handwerksbetriebe, schmale Gassen und unerwartete Innenhöfe prägen die Struktur.
Das Zentrum von Corpus liegt rund um den „Marktplatz ohne Markt“, wie ihn die Einheimischen nennen – ein asphaltierter Dreieckplatz mit drei Sitzbänken, einem öffentlichen Schaukasten und einem Sandkasten mit Schaukel, direkt gegenüber der Apotheke „Zentroflora“. In einem zweistöckigen Fachwerkbau mit Schieferdach residiert dort seit 1971 der Apotheker Alwin Stacher, dessen Kräuterbuchsammlung in der Umgebung berühmt ist. Nebenan liegt die traditionsreiche Bäckerei „Krummschneid“, deren Sauerteigbrot und Gerstenkipferl auch in Wisnitz und Pulkwitz verkauft werden. Im rückwärtigen Teil des Hauses steht noch ein Holzofen aus dem Jahr 1902, der sonntags für die beliebten „Korblaiberl“ befeuert wird.
Zwischen der Apotheke „Zentroflora“ und der Bäckerei „Krummschneid“ steht die kleine Dorfkirche von Corpus, ein gedrungener Bau mit schlichtem Westturm und kupfergedeckter Haube. Errichtet wurde sie 1743 aus regionalem Lehmstein, wobei ältere Fundamente der ursprünglichen Kapelle einbezogen wurden. Der Innenraum ist einfach gehalten: weiß gekalkte Wände, eine Empore auf drei Holzstützen und ein Altartisch aus dunklem Eichenholz. Besonders auffällig ist das Wandgemälde hinter dem Altar, das vermutlich aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt: Es zeigt das Motiv der „Aussaat im Wind“ – Jesus mit einem Saatkorb über der Schulter in einer weiten, windbewegten Landschaft, flankiert von drei Bauern mit Sichel, Rechen und Dreschflegel. Die Glocke im Turm wird noch von Hand geläutet, meist von Konrad Elgner, dem Küster, der auch für das Anheizen des kleinen Ofens im Winter zuständig ist. Die Kirche ist tagsüber offen, wird für Andachten, Konzerte und auch Gemeinderatssitzungen genutzt – ein ruhiger, unprätentiöser Ort im Zentrum des Dorfes.

Die Schule ist ein einfaches, zweigeschossiges Gebäude mit hellgrauem Putz, Flachdach und einem hölzernen Glockenstuhl im Schulgarten. Rund 80 Kinder besuchen hier die Grundschule, während ältere Schüler nach Großtolkau pendeln. Die Lehrerin Emelie Naupert ist für ihre offenen Unterrichtsformen und für die Schulgartenprojekte bekannt, bei denen regelmäßig Gemüse, Kräuter und sogar Hopfen angebaut werden.
Auch wenn Corpus keinen Bahnhof besitzt, spielt der Verkehr dennoch eine Rolle im Alltag. Täglich fahren dutzende Pendler mit dem Rad oder dem Bus nach Kreuzberg oder Wisnitz. Der Weg zur Stammbahn beträgt fünf Kilometer – gut ausgeschildert, aber ohne Schatten. Viele nutzen die Mitfahrbank am Ortsausgang, wo kleine Holzschilder mit Zielen („Zug“, „Bäcker“, „Apotheke“, „Strand“) an einem drehbaren Pfahl befestigt sind. So ist es zu einer stillen Vereinbarung geworden, wartenden Personen gezielt eine Mitfahrt zu ermöglichen.
Einmal im Jahr, jeweils Anfang Juni, wird in Corpus das Fest „Corpus im Kreis“ gefeiert – eine Mischung aus Dorffest, Bauernmarkt und Begegnungstag. Der Name spielt auf die ursprüngliche Bedeutung des Ortes ebenso an wie auf das Dorf selbst, das sich an diesem Tag tatsächlich „im Kreis“ dreht: Die Straßen um das Zentrum werden gesperrt, und auf der B4 wird zwischen 8:00 und 16:00 Uhr ein riesiger runder Brotmarkt aufgebaut. Verschiedene Bäckereien aus dem Landkreis präsentieren hier ihre Brotsorten, dazu gibt es Wettbewerbe im Kipferl-Zopf-Flechten, Bierbänke, Musik und Vorführungen von Schülern aus dem Dorf. Auch eine Wanderausstellung zur Geschichte des Wiegewesens – in Anlehnung an den nahen Kornstein von Straßendorf – ist meist vertreten.
Corpus hat trotz seiner überschaubaren Fläche einige markante Gebäude. Neben dem alten Schulhaus fällt das Haus „Zur Stille“ auf – ein rechteckiger Lehmbau mit strohgedecktem Anbau, der seit 1923 als Gasthaus diente und nun als Jugendbildungsstätte genutzt wird. Der Gastraum wurde zu einem Versammlungsraum umgebaut, wo regelmäßig Seminare zu ländlichem Handwerk, Dorfgeschichte und Regionalplanung stattfinden. Geleitet wird die Einrichtung von Doro Halber, einer ehemaligen Architektin aus Bierona, die bewusst ins Dorf zog, um sich für eine entschleunigte, ortsbezogene Bildung einzusetzen. Im Innenhof der Bildungsstätte befindet sich ein alter Brunnen mit geschnitztem hölzernen Ziehgalgen, der als Symbol für die Ausrichtung auf „Tiefe statt Breite“ gilt.

Besonders erwähnenswert ist auch das kleine Gemeindezentrum im südwestlichen Dorfteil, das aus einem 1970er-Jahre-Flachbau hervorgegangen ist und nach einer Sanierung 2021 wiedereröffnet wurde. Hier finden Seniorennachmittage, Theaterproben, Bastelabende und politische Diskussionsrunden statt. Das Zentrum beherbergt auch das Archiv der Ortschronik, das von dem pensionierten Geografielehrer Johann Stritz gepflegt wird. Stritz hat eine beeindruckende Sammlung an Karten, Dorffotografien und Schulheften aus über 100 Jahren zusammengetragen. Besonders beliebt ist bei Schulklassen sein Diorama „Corpus 1834“, das das Dorf mit herausnehmbaren Holzhäusern zeigt.
Einzigartig im Dorf ist die „Backsteinpforte“, ein eigenartiger Torbogen aus rötlichem Stein am nördlichen Rand von Corpus, der laut Überlieferung einst den Eingang zum „Hof der Zählung“ markierte – einer mittelalterlichen Zollstation, die vermutlich mit der nahen Kapelle verbunden war. Heute steht das Tor frei in der Landschaft, umgeben von einer Schafweide, und dient oft als Fotomotiv.
Was Corpus neben seinen Institutionen und Besonderheiten ausmacht, ist die Kontinuität im Alltag. In der Apotheke wird man mit Namen begrüßt, beim Bäcker bekommt man ein Kipferl, auch wenn man das Geld vergessen hat, und der Milchfahrer stellt die Kannen nicht nur ab, sondern bringt sie auch zurück zur Tür. All das wirkt unaufgeregt, aber verlässlich. Die Wege in Corpus sind kurz, aber voller Begegnung. Wer hier lebt oder auch nur für eine Weile verweilt, erlebt eine Dorfgemeinschaft, die nicht durch Spektakel, sondern durch Gleichmaß, Offenheit und beständige Pflege ihrer kleinen Besonderheiten überzeugt.
Ch.: B4 (W: Straßendorf 13km, S: Kreuzberg 5km); B43 (O: Wisnitz 4,5km); BL12 (SW: Mule); Feldweg zur Straße nach Worda)