Es begann in einer jener Nächte, in denen der Wind an den Fenstern zerrte und der Mond wie ein trüber Spiegel am Himmel hing. Ich wusste schon länger, dass sie da war. Überall, wo ich ging, legte sie sich an meine Seite: ein Schatten, den niemand außer mir sehen konnte. Für die anderen war es bloß ein dunkler Fleck, eine Regung des Lichts – für mich aber hatte der Schatten eine Gestalt. Wenn ich innehielt, um genauer hinzusehen, löste sich das Dunkel auf wie Rauch, und darunter erschien sie: eine Frau, schöner als Worte es tragen konnten. Ihr Haar fiel wie schimmernde Schwärze über ihre Schultern, ihr Körper war schlank, geschmeidig, in einer Art durchsichtigen Schattenschleier gehüllt, der kaum verbarg, sondern nur andeutete. Ihre Augen brannten, dunkel und unergründlich.

Doch es war keine gewöhnliche Schönheit. Sie war Begehren und Bedrohung zugleich. Ich wusste nie, ob sie mich in die Arme schließen oder ins Verderben stoßen würde. Mal brachte sie mir Glück – ein unerwarteter Gewinn, ein unverhofftes Lächeln am richtigen Ort. Und mal brachte sie Unglück – ein Sturz, ein Verlust, eine plötzliche Einsamkeit. Ich nannte sie meine Schattenfrau.

In jener Nacht war ich allein in meiner Wohnung. Kerzen flackerten, die Fenster standen offen, und ich hörte ihr leises Atmen – oder bildete ich es mir ein? Ich wandte den Kopf, und da stand sie, im Halbdunkel zwischen Kerzenschein und Schatten. „Du bist gekommen“, flüsterte ich. Sie lächelte, und ohne ein Wort zu sprechen, glitt sie näher. Ihre Hand – kühl und doch vibrierend vor Leben – legte sich auf meine Brust. Es war, als ob mich ein elektrischer Strom durchzuckte. „Warum nur ich?“, fragte ich, halb zu mir selbst. „Warum sieht dich niemand sonst?“ Ihre Lippen berührten mein Ohr, und ihre Stimme war ein Hauch: „Weil du mich begehrst. Weil du mich fürchtest. Und beides gehört dir allein.“ Dann küsste sie mich – nicht sanft, sondern fordernd, als wolle sie mich verschlingen.

Von diesem Augenblick an war mein Leben ein Taumel zwischen Glück und Unheil. Wenn sie bei mir war, fühlte ich mich berauscht. Ihr Körper war warm, weich und unnachgiebig zugleich. Ich spürte, wie sie mich umfing, wie ihre Finger über meine Haut glitten, wie sie mir in die Seele griff. Doch kaum glaubte ich, mich ihr hingeben zu können, schlug das Schicksal um. Ein Geschäft platzte, ein Freund wandte sich ab, ich stolperte über meine eigenen Schritte. Ich verstand: Sie war kein Geschenk, sondern eine Prüfung. Und doch konnte ich nicht ohne sie.
Ich wollte sie den anderen zeigen. Bei einem Abendessen mit Freunden spürte ich sie wieder neben mir. Ihre Hand ruhte auf meinem Oberschenkel, ihre Finger zeichneten Muster, die mich beinahe wahnsinnig machten. Ich lachte zu laut, sprach zu schnell – doch niemand bemerkte sie. „Was ist los mit dir?“, fragte jemand. Ich hätte schreien können: Seht ihr sie denn nicht? Seht ihr nicht, dass hier eine Frau sitzt, wunderschön, begehrenswert, gefährlich? Aber die Blicke meiner Freunde blieben leer. Also schwieg ich. Sie gehörte mir allein.
Es war an einem kalten Winterabend, als ich beschloss, mich ihr vollkommen hinzugeben. Ich legte mich ins Bett, ohne Licht, ohne Ablenkung. Nur das Ticken der Uhr begleitete mich. Und da kam sie, lautlos wie immer. Sie stieg zu mir, ihr Körper legte sich auf meinen, schwerelos und doch so real, dass ich jeden Atemzug, jede Bewegung spürte. Sie küsste mich von der Stirn bis zu den Lippen, ihre Hände glitten an mir hinab. Es war kein Traum, kein Hirngespinst – ich fühlte die Hitze ihrer Haut, die Kraft ihrer Oberschenkel, den Biss ihrer Zähne an meinem Hals. Ich erwiderte es, zog sie enger an mich, und sie ließ sich fallen. Unsere Körper verschränkten sich, verschmolzen fast, wie Schatten, die sich im Dunkel nicht mehr trennen lassen. Jeder Kuss war ein Versprechen, jede Berührung ein Risiko. Ich wusste: In dieser Nacht würde sie mir beides bringen – Glück und Unglück. Vielleicht würde ich am Morgen ein anderer sein. Vielleicht würde ich alles verlieren. Aber in diesem Augenblick war das gleichgültig.

Als die ersten Strahlen der Sonne durchs Fenster fielen, war sie fort. Nur ein Hauch von Wärme lag noch auf den Laken. Ich fühlte mich berauscht, erfüllt – und zugleich leer. Später an diesem Tag erhielt ich einen Anruf: Ein Auftrag, von dem ich lebte, war verloren. Unglück. Doch fast gleichzeitig fand ich im Briefkasten einen unerwarteten Scheck – Glück. So war es immer: ein Pendel, ein Spiel aus Licht und Schatten.
Ich begriff, dass sie kein Trugbild war. Sie war ein Teil von mir, aus Fleisch und Geist zugleich. Sie war das, was ich begehrte und wovor ich floh. Und wenn ich die Augen schließe, spüre ich sie noch. Die Schattenfrau. Meine Geliebte, mein Fluch, mein Glück.
Während ich dies schreibe, spüre ich sie hinter mir stehen. Ihr Atem an meinem Nacken. Ihre Hand, die sich auf meine Schulter legt. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Sie lächelt. Ich weiß: Heute wird sie mich wieder in ihre Arme ziehen. Und ich weiß nicht, ob ich dabei gerettet oder verloren werde. Aber eines weiß ich sicher: Ich werde es wollen. Immer.