St. Gertrud am Teich ist die älteste Kirche Unterstrands und steht am Übergang zwischen Altstadt und Uferweg, nur wenige Schritte vom Schanzgraben entfernt. Ihr gedrungener Turm mit den schmalen Schallluken ist schon vom Teich aus zu sehen, vor allem bei tiefstehender Sonne, wenn das Ziegeldach in einem stumpfen Rot aufleuchtet. Der Bau entstand 1524 an der Stelle einer älteren Holzkapelle, die einer Fischergemeinschaft gehörte und während der Teichkriege zerstört wurde. Die neue Kirche wurde aus Ziegeln des nahen Brennofens von Faultierwald errichtet. Der Saalbau zeigt gekehlte Ziegelbänder als einfache Gliederung, die Fenster sind schmal, mit Sandsteingewänden, und der Westturm ragt kaum über das Dach hinaus. Die Glocke, aus einer Legierung alter Schweinetöpfe gegossen, besitzt einen warmen, tiefen Klang, der weit über das Wasser trägt.

Der Innenraum ist schlicht und hell. Die Wände tragen nur einen Kalkputz, auf dem noch Spuren von Malereien aus dem 17. Jahrhundert sichtbar sind: ein Netzmotiv über dem Chorbogen, das wohl auf den Schutzpatronin-Gedanken Gertruds als Fürsprecherin der Reisenden und Fischer verweist. Das wichtigste Objekt der Kirche ist das hölzerne Votivschiff, das 1780 von der „Fischergemeinschaft Gertrud“ gestiftet wurde. Es hängt an drei Seilen im Mittelschiff, sanft schwankend, wenn die Tür geöffnet wird. In seinen Planken stecken eiserne Nägel – einer für jedes Boot der damaligen Gilde. Einige Nägel sind mit Initialen eingeschlagen, andere zeigen kleine Kerben, vermutlich Zeichen der jeweiligen Familien. Ein kleines Schild erklärt, dass der Mast aus Eschenholz gefertigt ist, das einst am Kleinen Teich wuchs.
Die Bänke stammen aus dem Jahr 1887, als der Tischler Johannis Heepe die Innenausstattung erneuerte. Er schnitzte einfache, schmale Lehnen, auf deren Rückseiten Fische, Netze und Wellenlinien eingeritzt sind. Über dem Altar steht ein schlichtes Kruzifix aus Eichenholz, das während der Reformationszeit geschnitzt und später mit Leinölfirnis überzogen wurde. Links davon hängt ein Tafelbild der heiligen Gertrud von Nivelles, Patronin der Reisenden, das nachträglich im 19. Jahrhundert aus einer Werkstatt in Seestadt kam.
Die Kanzel ist klein, aber auffällig: an der Vorderseite zeigt sie in flachem Relief die Symbole der vier Evangelisten, auf der Rückseite eine Szene des Brotteilens. Über ihr hängt ein offener Schalldeckel aus Holz mit eingesetztem Spiegelglas, das das Licht vom Fenster einfängt. Wenn der Pastor predigt, spiegeln sich darin manchmal die Bewegung der Wasserfläche vor der Kirche – ein unabsichtlicher, aber poetischer Effekt, der das Gebäude mit seiner Umgebung verbindet.
Der Pfarrgarten, der sich hinter der Kirche bis zum Schanzgraben erstreckt, ist ein stiller Ort. Zwischen Apfelbäumen und Fliederbüschen führen schmale Wege zu einer alten Bank aus Eichenbohlen. Von hier blickt man auf das Wasser, das langsam durch den Graben zieht. Im Boden erkennt man Reste der mittelalterlichen Kirchhofsmauer. Im Frühjahr werden dort Zwiebeln für Blumen gesetzt, im Sommer hängen Netze zum Trocknen über dem Zaun. Auf dem kleinen Rasenstreifen steht ein hölzerner Schuppen, in dem alte Kirchengeräte, Bänke und das Gestell für das Wolltuch aufbewahrt werden, das beim Erntedankfest ausgebreitet wird.

Dieses graue Wolltuch ist das Zentrum des wichtigsten Brauchs der Gemeinde. Am ersten Sonntag im Oktober breiten die Mitglieder der Kirchengemeinde es in der Mitte des Kirchenschiffs aus. Es wurde aus der Wolle seeländischer Schafe gewebt und von den Frauen der Gemeinde im Pfarrhaus zusammengenäht. Während des Erntedankgottesdienstes werden darauf Brotlaibe gelegt – jeweils von Bäckern und Familien gespendet, die im Laufe des Jahres am Teich gearbeitet haben. Nach dem Schlusssegen werden die Brote an Bedürftige und Alleinstehende verteilt. Dieser Brauch, erstmals 1642 erwähnt, erinnert an die schwere Hungerszeit nach der großen Flut, als die Gemeinde gemeinsam Vorräte teilte. Das Tuch selbst wird danach gewaschen, getrocknet und bis zum nächsten Jahr in einer Holztruhe im Turmraum aufbewahrt.
St. Gertrud hat über die Jahrhunderte zahlreiche Umgestaltungen erlebt. 1731 wurde der Turm nach einem Blitzschlag neu gedeckt, 1885 erneuerte man das Dach mit Ziegeln aus dem Werk Zulo, und in den 1950er Jahren wurde eine elektrische Beleuchtung eingebaut. Die Gemeinde hat stets darauf geachtet, dass die Eingriffe schlicht und funktional bleiben. Noch heute wird die Kirche durch einen kleinen Ofen im Turmraum beheizt, der mit Torfziegeln aus den Mooren bei Ulmdorf gespeist wird. Der Geruch mischt sich im Winter mit dem Harzduft der Bänke – ein unverwechselbares Zeichen für die kalte Jahreszeit.
Die Kirche dient nicht nur religiösen Zwecken, sondern ist auch ein kultureller Treffpunkt. An Samstagen erklingt hier regelmäßig Musik: Organisten aus Seestadt und dem Seelandwald spielen Konzerte im Wechsel mit den Partnerkirchen Maria Magdalena (Zajin) und Rosenkranz (Rosengarten). Diese sogenannten „Teichkonzerte“ sind beliebt, weil sie die Kirchenräume über die ganze Region verbinden. Im Sommer wird außerdem der „Abend am Wasser“ gefeiert: Die Türen bleiben geöffnet, und der Gesang mischt sich mit den Geräuschen der Boote auf dem Teich.
Einmal im Jahr, am 24. März, wird der Gertrudstag begangen. Dabei ziehen Kinder mit kleinen Holzbooten durch die Stadt und stellen sie vor die Kirche. Die Boote sind mit Kerzen bestückt, die am Abend auf dem Wasser des Schanzgrabens ausgesetzt werden. Dieser Brauch soll an die Reisende und Schutzpatronin erinnern. Die schwimmenden Lichter treiben langsam zum Teich hinunter, und viele Einwohner begleiten sie schweigend – ein stilles, gemeinschaftliches Ritual.
Im Turmraum befinden sich noch zwei Besonderheiten. Die eine ist die alte Kirchturmuhr mit einem Holzgetriebe, das aus dem Jahr 1748 stammt und bis in die 1960er Jahre in Betrieb war. Das Werk wurde von einem Schmied aus Papierstedt gefertigt und diente fast zwei Jahrhunderte. Die andere ist eine kleine Holztafel mit eingeritzten Namen der Pastoren seit 1524, ergänzt um kurze Bemerkungen – „verreist gen Seestadt“, „starb an der Grippe“, „blieb 31 Jahre“. Diese einfache Aufzählung erzählt mehr über die Gemeinde als viele Chroniken: von Beständigkeit, Verlust und fortgesetzter Arbeit.
St. Gertrud ist eng mit dem Leben Unterstrands verbunden. Sie liegt nicht abseits, sondern inmitten der Stadt, erreichbar vom Markt in wenigen Minuten. Ihre Glocke markiert den Tagesrhythmus – mittags beim Marktende, abends beim Schließen der Schleuse. Bei Sturm oder Hochwasser ist sie ein akustisches Zeichen, dass die Gemeinde wach ist. Die Nähe von Kirche und Teich hat auch praktische Bedeutung: In früheren Zeiten wurde das Wasser des Schanzgrabens zur Taufe verwendet, weil es als „Lebenswasser der Stadt“ galt. Noch heute wird bei Taufen ein kleiner Krug mit Teichwasser auf den Altar gestellt, bevor das geweihte Wasser darüber gegossen wird.
Die Besucher, die nach Unterstrand kommen, finden in St. Gertrud keinen Prunk, sondern eine sichtbare Verbindung von Glaube, Arbeit und Umgebung. Jeder Gegenstand trägt Gebrauchsspuren, jeder Raum erzählt vom Alltag der Menschen, die hier über Generationen lebten. Das Schwingen der Glocke, das Schwanken des Votivschiffs, das Rauschen des Wassers hinter dem Gartenzaun – all das verschmilzt zu einem Klangbild, das die Stadt prägt.