Die Schleuse IV in Unterstrand liegt westlich der Altstadt am Übergang vom Kleinen Teich in den Entwässerungskanal, der durch die Felder Richtung Zajinbach führt. Von der Promenade aus ist sie nur durch einen schmalen Weg erreichbar, der zwischen den alten Bootsschuppen hindurchführt. Dort, wo das Wasser unter den hohen Weiden vorbeiströmt, erhebt sich das Schleusenhaus aus gelbem Ziegel, ein zweigeschossiger Bau mit flachem Dach und gußeisernen Fenstergittern. Die Anlage wurde 1846 im Rahmen der großen Teichregulierung errichtet, als das Seeland begann, seine Wasserwirtschaft technisch neu zu ordnen. Bis dahin wurde der Wasserstand des Kleinen Teichs nur über primitive Wehre und Holzriegel geregelt, was zu häufigen Überschwemmungen in den unteren Feldern führte. Mit der neuen Schleuse schuf man einen kontrollierten Abfluss, der zugleich Schifffahrt, Fischerei und Entwässerung verband – ein technisches Meisterstück für seine Zeit.
Das Bauwerk trägt die römische Zahl IV, weil es die vierte von ursprünglich sechs Schleusen des Teichsystems war. Die Nummerierung folgte der Fließrichtung des Teichflusses, von Südost nach Nordwest. Schleuse IV markierte den Übergang zwischen Binnenwasser und den tieferliegenden Kanälen, die das Umland entwässerten. Das Bauwerk besteht aus zwei Kammern, getrennt durch ein Mittelmauerwerk, das die schweren Kammräder trägt. Ursprünglich wurden die Tore über hölzerne Winden und Zahnräder aus Eichenholz bewegt; später ersetzte man sie durch gußeiserne Mechanik. 1928 erfolgte die Elektrifizierung – seither treiben Elektromotoren die Kammräder an, doch die alten Winden blieben als Notmechanismus erhalten.
Die Schleuse war nicht nur ein technisches Gerät, sondern ein Arbeitsplatz. Im Schleusenhaus wohnten über Generationen Schleusenwärterfamilien. Das erste Wärterbuch, das im Stadtarchiv erhalten ist, beginnt 1847 mit dem Namen „Johann Rohle, Schleusenmeister IV“. Es verzeichnet Pegelstände, Wetterbeobachtungen und kurze Notizen über Unfälle oder Besucher. Unter dem 3. Mai 1854 etwa findet sich der Eintrag: „Zwei Knaben von Achthaus über das Tor gefallen, gerettet vom Gehilfen Troeber.“ Noch bis in die 1970er Jahre lebte jeweils eine Familie im oberen Stock des Schleusenhauses, der Dienst tat am Tag und in der Nacht Schichten. Das Läuten der St.-Gertrud-Glocke diente den Wärtern früher als Zeitzeichen zum Öffnen der Tore.
Ein markantes Detail ist das große gußeiserne Kammrad, das an der Ostseite der Schleuse erhalten blieb. Es hat einen Durchmesser von über zwei Metern und treibt über eine Welle die beiden Torwinden. Besucher können bei Führungen beobachten, wie der alte Schleusenwärter Erwin Marnholt das Rad langsam in Bewegung setzt. Dann hört man das tiefe Quietschen der Zahnräder, gefolgt vom rhythmischen Klappen der Tore, wenn das Wasser in die Kammer einströmt. Die Geräuschkulisse ist eindrucksvoll: metallisches Rattern, schlagendes Wasser, Echo unter der Brücke. Seit den 1990er Jahren wird die Anlage nur noch zu Demonstrationszwecken vollständig betrieben, doch kleinere Wasserstandsregulierungen geschehen weiterhin manuell – aus Tradition und um das historische System in Funktion zu halten.
In technischer Hinsicht gilt die Schleuse IV als frühes Beispiel für die Integration von Schifffahrt und Entwässerung in einem einheitlichen System. Die Kammern haben eine Länge von 23 Metern und eine lichte Breite von 5,5 Metern. Der Höhenunterschied beträgt etwa 1,8 Meter, was ausreicht, um die Pegelschwankungen des Teichs auszugleichen. Neben der Hauptkammer befindet sich ein schmaler Nebenkanal, über den überschüssiges Wasser bei Sturm oder Hochwasser abfließen kann. Über eine Steinbrücke führt der Weg zum Schleusenhaus, das zugleich als Pegelstation und Werkstatt dient. Im Keller stehen noch die Originalpumpen aus den 1920er Jahren, die regelmäßig gewartet werden.
Architektonisch fügt sich die Schleuse in die Landschaft ein. Die Ziegelmauer des Hauses ist mit Kalkputz überzogen, das Dach trägt Teerpappe, und auf der Nordseite ragt ein Schornstein aus der Zeit, als das Wärterzimmer noch mit einem Kohleofen geheizt wurde. Auf der Uferseite wachsen Schilf, Sumpfsegge und Rohrkolben. Am Geländer sitzt häufig eine Schar Reiher; sie nutzen das bewegte Wasser, um Fische zu jagen, die beim Schleusenlauf in den Kanal getrieben werden. Wenn man frühmorgens kommt, steht der Dampf über der Oberfläche, und das alte Eisenrad glitzert im feuchten Licht.
Die Schleuse spielt bis heute eine wichtige Rolle im kollektiven Gedächtnis Unterstrands. Sie symbolisiert den Übergang zwischen alter Handarbeit und moderner Technik. Während des jährlichen „Teichfests“ öffnet die Stadt die Anlage für Besucher. Der ehemalige Schleusenwärter führt die Mechanik vor, zeigt das Schaltpult von 1928 und lässt das Kammrad anlaufen. Kinder dürfen das kleine Handrad drehen, um den Wasserstand in der Nebenkammer zu verändern. Dabei wird erklärt, wie die Schleuse einst den Wasserfluss für Fischzucht, Mühlen und Bootsbetrieb regelte. Nach der Vorführung wird am Geländer Fischsuppe ausgeschenkt, und Musiker aus der Musikschule spielen traditionelle Seeländer Stücke auf Klarinette und Horn.
Neben der praktischen Nutzung wurde die Schleuse auch ein Ort der Erinnerung. 1984 wurde an der Südmauer eine Gedenktafel angebracht, die an den Schleusenwärter Henrik Vosse erinnert, der 1913 bei einem Hochwasser im Dienst ertrank, als er versuchte, das obere Tor zu schließen. Jedes Jahr am 14. November, dem Tag seines Todes, legt die Stadt eine kleine Kranzspende am Geländer nieder. Schüler der Berufsschule für Wasserbau erzählen bei Führungen seine Geschichte, um die Bedeutung der Arbeit jener Menschen zu würdigen, die das Teichsystem am Laufen hielten.
Im Inneren des Schleusenhauses befindet sich heute eine kleine Ausstellung zur Technikgeschichte. An den Wänden hängen Zeichnungen der ersten Pläne von 1845, daneben Fotos vom Umbau 1928 und 1953. Auf einem Regal liegen Werkzeuge: Haken, Schlüssel, Peilstangen und ein Pegelbuch. Eine Glasvitrine zeigt den originalen Schaltschrank mit Emailplakette „Elektrische Steuerung, Werk Nolo 1928“. Ein Besucherbuch liegt aus, und die meisten Einträge stammen von Schülern, Technikinteressierten und Reisenden aus Seestadt.
In der Umgebung der Schleuse hat sich über die Jahrzehnte eine eigene kleine Nachbarschaft entwickelt. Auf der Südseite stehen drei ehemalige Wärterhäuser, die heute von Familien bewohnt werden. Zwischen den Gebäuden führen Trampelpfade ans Wasser. Ein alter Birnbaum am Weg markiert den Standort des ersten Signalpfostens, der einst mit einer Glocke versehen war, um das Öffnen der Tore anzukündigen. Diese Glocke hängt heute in der Vorhalle von St. Gertrud – ein stilles Bindeglied zwischen Kirche und Schleuse.
Das Zusammenspiel von Technik und Natur macht die Schleuse IV zu einem charakteristischen Ort Unterstrands. Der Wasserstand wechselt im Tageslauf leicht, und mit ihm verändern sich Licht und Geräusch. Das beständige Rauschen aus den Zuläufen bildet einen Ton, der auf dem Markt oder in der Uferstraße leise zu hören ist. Viele Einwohner sprechen vom „Atem des Teichs“, wenn sie dieses Rauschen meinen – ein Gleichmaß, das seit Generationen das Leben bestimmt.
Die Schleuse IV ist heute denkmalgeschützt. Ihre Wartung liegt bei der Stadt Unterstrand, unterstützt von der „Freien Arbeitsgemeinschaft Teichsystem“, einer Gruppe ehemaliger Wasserbauer und Ingenieure. Mehrmals im Jahr wird die Mechanik überprüft, das Holz geölt, das Eisen entrostet. Wenn das Wetter mild ist, helfen Schüler beim Streichen des Geländers. So bleibt die Schleuse kein stillgelegtes Relikt, sondern ein lebendiger Teil der Stadtlandschaft.