
(Pop.: 547 – 14m NN)
Möhra liegt auf 14 Metern über dem Meeresspiegel inmitten der offenen, weit ausgreifenden Felder der südlichen Zentoebene. Von Bierona aus führt die alte Stammbahn westwärts über Möhra nach Mähnendorf, ehe sie weiter ins Buthatal zieht. Die Landschaft rund um Möhra ist landwirtschaftlich geprägt, mit großen Feldern für Gerste, Weizen und Roggen. Auffällig sind aber auch die Flächen mit Möhren- und Kartoffelanbau, die dem Dorf eine gewisse Eigenheit verleihen. Nördlich liegt eine größere Hopfenanlage, nach Osten führt entlang der Stammbahn ein Feldweg in Richtung Bierona. Etwa sechs Kilometer östlich durchquert dieser den Hain, ein kleines Waldstück, das bei den Dorfbewohnern als Rückzugs- und Picknickort gilt.

Möhra wird häufig als „Brauerdorf“ bezeichnet, und das nicht zu Unrecht: Neben der großangelegten Gelling-Brauerei finden sich drei kleinere Familienbrauereien, die alle ihren eigenen Stil, ihre Geschichte und treue Kundschaft haben. Zentrum des Brauwesens ist jedoch unbestritten die Gelling-Brauerei, deren dunkelmalziges Exportbier „Dunkler Halm“ in ganz Landauri bekannt und verbreitet ist. In den großen Hallen am westlichen Ortsrand wird seit vier Generationen gebraut. Der heutige Inhaber Falko Gelling führt das Unternehmen gemeinsam mit seiner Schwester Nika, die für die Vertriebskanäle zuständig ist. Neben dem eigentlichen Braubetrieb betreibt die Familie auch die „Gellings Braustuben“, eine Gastwirtschaft mit angrenzendem Probierzimmer, in dem regelmäßig Führungen für Gruppen aus der Region stattfinden. Besonders beliebt ist hier das „Hopfenbrot“, ein festes, leicht nussiges Brot, das mit dem ausgepressten Treber aus der Brauerei gebacken wird. Serviert wird es in dicken Scheiben mit Salzbutter oder zu einer Bierverkostung. Die Kooperation mit der Gymnasialbrauerei Mähnendorf ist ein besonderes Kapitel in Gellings jüngerer Geschichte. Seit nunmehr 14 Jahren bezieht das Gymnasium jedes Frühjahr eine frische Kultur obergäriger Hefe aus Möhra. Im Gegenzug absolvieren jährlich zwei bis drei Schülerinnen oder Schüler des Mähnendorfer Gymnasiums ein Praktikum im Gelling-Betrieb – ein Austausch, der mittlerweile fester Bestandteil des örtlichen Brauerlebens geworden ist.
Die drei kleineren Brauereien – „Kunsthopf“, „Blaukerz“ und „Malzgeviert“ – befinden sich in historischen Gebäuden im Ortskern. Während „Kunsthopf“ sich auf Kreativsude mit saisonalen Zutaten spezialisiert und besonders bei jüngeren Bierliebhabern beliebt ist, braut „Blaukerz“ eine Reihe eher klassischer, aber stark gehopfter Sorten. „Malzgeviert“, die älteste der drei Familienbrauereien, setzt auf sehr kleine Chargen und lange Lagerzeiten. Hier gibt es Bier ausschließlich freitags und nur in Steinkrügen gegen Pfand. Die Betriebe verstehen sich nicht als Konkurrenten, sondern als Teil eines kollektiven Brauhandwerks, das Möhra seit Jahrzehnten prägt.
Am Ortsrand von Möhra liegt das Schulhaus, ein schlichtes Gebäude mit roten Fensterläden und einer alten Holztafel im Flur, auf der noch die Namen der ersten Lehrer des Ortes zu lesen sind. Im Kreisarchiv Mähnendorf findet sich ein frühes Fotodokument aus den 1920er Jahren: Ein Junge, die Gießkanne in der Hand, steht barfüßig vor dem Schulhaus – offenbar in einer Hopfenerntepause. Diese Aufnahme wird regelmäßig für Ausstellungen rund um die Alltagsgeschichte des Dorfes verwendet.
Ein kleines, aber besonderes Highlight Möhras ist das Möhrenmuseum, das sich in einem ehemaligen Geräteschuppen im alten Ortskern befindet. Es widmet sich dem Anbau, der Sortenkunde und der kulturellen Bedeutung der Möhre in der Region. Neben historischen Pflugmodellen und Saatgutbeuteln zeigt das Museum auch humorvolle Exponate, darunter einen hölzernen Möhren-Weltpokal (geschnitzt von einem ehemaligen Ortsbürgermeister), eine Sammlung von Karottenschälern aus verschiedenen Jahrzehnten und das berühmte „Möhrenlied“, das in den 1980er Jahren vom Männerchor Möhra bei einem Dorffest uraufgeführt wurde. Einmal im Jahr – zur Hauptsaison – veranstaltet das Museum einen Aktionstag mit Möhrenkuchen, Möhrensuppe und einem Kinder-Schälwettbewerb.
Die örtliche Kirche, dem Heiligen Ulrich gewidmet, steht im Südosten des Dorfes auf einer kleinen Anhöhe. Der Bruchsteinbau mit seinem verschieferten Dach und dem gedrungenen Turm ist vermutlich im 17. Jahrhundert auf den Grundmauern eines älteren Vorgängerbaus errichtet worden. Besonders ins Auge fällt das Altarbild, auf dem Ulrich nicht mit dem üblichen Fisch, sondern mit einer Ähre und einem Krug abgebildet ist – ein Hinweis auf die lange Verbindung von Kirche und Brauhandwerk in der Region. Die Gemeinde zählt etwa 120 aktive Mitglieder. Jeden zweiten Sonntag findet ein Gottesdienst statt, gelegentlich mit musikalischer Begleitung durch die Bläsergruppe „Messingrunde“, die auch bei Beerdigungen und Hochzeiten auftritt.
Ein Ort der Begegnung ist das kleine Landkino „Filmspule Möhra“, untergebracht in einem ehemaligen Stallgebäude mit Holzbalkendecke. Das Kino zeigt zweimal wöchentlich Filme – mittwochs ein Klassiker, samstags einen aktuellen Streifen. Der Eintritt kostet einen Einheitspreis, Popcorn gibt es nicht, dafür Malzgebäck und Hopfenlimo. Das Publikum besteht aus allen Altersgruppen, vom Schulkind bis zum Altbauer. Vor dem Film werden regelmäßig Dias von historischen Aufnahmen aus Möhra gezeigt – ein beliebter Einstieg, der oft Gespräche im Anschluss anregt.
Wer in Möhra übernachten will, findet Unterkunft in der Gaststätte „Zur Treberpfanne“, einem Gasthof mit sieben Pensionszimmern. Der Name verweist auf ein traditionelles Gericht, das dort serviert wird: eine rustikale Pfanne mit geröstetem Gemüse, Brotstücken und gebratenem Treberteig. Der Gasthof liegt direkt an der alten Bahnlinie und ist besonders bei Radreisenden beliebt, da der Zento-Radweg hier entlangführt. Die Betreiberfamilie Niederflöß betreibt den Betrieb seit 1961 und pflegt eine Karte mit typischer Bierland-Küche: Suppen mit Wurzelgemüse, Hopfenwurst mit Sauerkraut, Brotauswahl mit Schmalz. Im Sommer wird der kleine Hof bestuhlt, ein Sonnenschirm spendet Schatten, und es gibt Musik von der Dorfjugend – Akkordeon, Geige und manchmal auch Alphorn.
Möhra ist ein Ort, der sich nicht in den Vordergrund drängt, aber mit jedem Schritt mehr Facetten zeigt. Seine Brauereien, das Möhrenmuseum, die enge Anbindung an Bahn und Nachbardörfer machen es zu einem lebendigen Ort, dessen Wurzeln tief in der Landwirtschaft und dem gemeinschaftlichen Handwerk liegen. Ob beim Hopfenbinden am Feldrand, beim Familienfilm im Landkino oder beim Probieren eines alten Roggenbiers in der Braustube – Möhra bietet Einsichten in das, was das Bierland jenseits der großen Städte ausmacht. Ein Dorf mit Braukultur, Bodenhaftung und einem ausgeprägten Sinn für das, was von Hand gemacht ist.
Bahn: SB1002 stündlich 6:25 – 21:25 nach Butha, 6:27 – 21:27 nach Bierona
Ch.: BL3 (S: Schandau, N: Pechtal); Feldwege nach Mähnendorf, Bierona und Stadtnähe)