Martin Lehner, geboren im Jahr 1982 in Winklo, einer unscheinbaren Kleinstadt nahe der Butha, ist heute Küchenchef des Hotel „Wellenrausch“ in Harzeck – und für viele Stammgäste wie Kolleginnen und Kollegen längst mehr als das. Seine Geschichte ist eng verknüpft mit der Region, mit den Menschen, mit dem Meer – und mit einer Arbeitsweise, die gleichermaßen auf Handwerk, Eigenwilligkeit und geerdeter Kreativität basiert.

Martin ist das älteste von drei Kindern. Seine Mutter betrieb über zwanzig Jahre eine Bäckerei mit angeschlossener Schulkantine, sein Vater fuhr bis zu seiner Pensionierung die Landpost zwischen Winklo und Kohlkopf. Schon als Kind beobachtete Martin die Abläufe in der Backstube, knetete Teig, stach Plätzchen aus – interessierte sich aber vor allem für den Moment, wenn gegen halb elf morgens die Bleche leer waren und in der improvisierten Familienküche Mittagessen gekocht wurde. Sein erstes eigenes Gericht war ein Pfannkuchen mit Apfelschalen und Senf. Es kam nicht gut an. Aber es war ein Anfang.

Nach der Schule absolvierte Lehner eine Ausbildung an der Hotelfachschule Butha, zunächst mit der Absicht, in die Organisation oder das Eventmanagement zu gehen. Doch schon im ersten Jahr wechselte er zur Küche. Die Ausbilder erinnerten sich später an einen stillen, aber aufmerksamen Lehrling, der mitunter eigenwillige Kombinationen ausprobierte und sich nicht zu schade war, selbst bei Hitze und Stress die Schneidbretter zu schrubben, wenn es sonst niemand tat.

Nach dem Abschluss folgten Wanderjahre. Lehner arbeitete zunächst auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Mare Internum, später in der Inselstadt Insula in einem damals aufstrebenden Fischbistro, das als eines der ersten in Insula Buthaniens Fischsuppe mit Zitronengras servierte. Es folgte ein Jahr in Monstir (Zentralinsel) bei einem skurrilen Koch mit Hang zum Theatralischen – eine Erfahrung, über die Martin heute nur sagt: „Ich habe viel gelernt. Vor allem, was ich nicht will.“

2021 übernahm er schließlich die Küchenleitung im „Wellenrausch“, einem Hotel mit direktem Zugang zum Strand von Harzeck. Das Haus selbst war damals im Umbruch – neue Eigentümer, neue Konzepte, ein Spagat zwischen Tradition und frischem Auftritt. Die Entscheidung für Lehner als Küchenchef galt zunächst als Wagnis. Er war kein Fernsehkoch, kein Preisträger, kein Name aus der Szene. Aber schon in den ersten Wochen wurde deutlich: Dieser Mann passt nicht nur zur Küche, er prägt sie.

Lehners Philosophie beruht auf wenigen Prinzipien: Frische, Eigenverantwortung, Lokalität. Er arbeitet eng mit den Harzecker Fischern zusammen, bezieht Gemüse vom kleinen Hofgut Klammsen in Noza und lässt Kräuter von einer Schulklasse auf einem Streifen Sandboden direkt hinter den Dünen anbauen – ein Projekt, das ursprünglich als einmaliger Besuch geplant war, inzwischen aber fester Bestandteil des Unterrichts ist. Die Kinder nennen ihn „Fisch-Martin“, was ihn, nach eigenen Worten, „fast ein bisschen rührt.“

Seine Gerichte sind unprätentiös, aber nie banal. Die bereits erwähnte Makrele mit Möwenkresse und Schwarzbrotkruste entstand während einer Nachtschicht, in der der Fisch nicht eingeplant war und das eigentliche Menü zu scheitern drohte. Martin griff zu dem, was gerade da war – ein paar Endstücke vom Schwarzbrot, ein Büschel Wildkräuter, etwas Butter, Zitrone. Am nächsten Tag bestellte ein Gast das Gericht „von gestern“ erneut. Inzwischen ist es nicht mehr von der Karte wegzudenken.

Das „Wellenrausch“ ist nicht nur ein Hotel, sondern auch ein Treffpunkt. Lehner nutzt die Räume des Hauses für Veranstaltungen, die mehr sind als kulinarische Programme. Bei den regelmäßig stattfindenden „Fisch & Wein“-Abenden stellt er kleine Produzenten aus der Region vor, diskutiert mit Winzern über Anbaugrenzen in salzreichen Böden oder erklärt Kindern, warum Seelachs gar kein Lachs ist. Er schreibt zudem eine unregelmäßige Kolumne für das lokale Blatt Winkler Wind, in der er Alltagsrezepte mit kleinen Beobachtungen über das Leben am Meer verbindet. In einem Text beschrieb er eine Auster als „das einzige Lebensmittel, das aussieht, als hätte es schon das Wetter von morgen gesehen“.

Mitarbeitende beschreiben ihn als fairen, wenn auch manchmal ruppigen Chef. Er hat eine Vorliebe für klare Worte, ist kein Freund von Küchenslang oder aufgesetzter Motivation. Wenn etwas misslingt, wird es direkt angesprochen – ohne Drama, aber auch ohne Umschweife. Er erwartet Konzentration, gibt dafür aber auch viel zurück. Neueinsteiger dürfen experimentieren, Vorschläge machen, Fehler machen – und bekommen stets eine zweite Chance. In der Pandemiezeit organisierte er mit dem Team ein Liefersystem für ältere Menschen in Harzeck, das noch heute bei Bedarf aktiviert wird, etwa bei Sturmwarnungen oder krankheitsbedingten Schließungen der Gaststätte „Fischerstube“.

Privat ist Martin Lehner schwer zu fassen. Er lebt allein in einer umgebauten Bootshütte im Küstenwald zwischen Harzeck und Bad Rehfeld, sammelt Schallplatten und hat eine ausgeprägte Schwäche für Schach und eingelegte Gurken. Im Sommer sieht man ihn manchmal frühmorgens am Strand entlanglaufen, barfuß, mit einem kleinen Netz über der Schulter. „Ich habe dann das Gefühl, es ist noch nichts passiert. Der Tag ist noch jung, das Wasser noch offen für Ideen“, sagte er einmal in einem Interview, das nie veröffentlicht wurde, weil der Redakteur anschließend kündigte und nach Ponta Sur ging.

Lehner hat keine Karriere im klassischen Sinn geplant. Er lehnt TV-Angebote ab, nimmt an keinen Wettbewerben teil und hat keine Lust, über die Eröffnung eines Zweitlokals nachzudenken. „Ich habe einen Herd, ein Meer, ein Dorf und einen Job, der nie langweilig wird. Wozu der Rest?“

Die Gäste im „Wellenrausch“ lieben genau das. Nicht nur wegen des Essens, sondern wegen der Atmosphäre, die er mit seiner Küche schafft: ruhig, respektvoll, detailverliebt. Und wenn er abends in der offenen Küche steht, den Löffel in die Soße taucht und leise summt – dann weiß man, dass Harzeck nicht nur ein Ort am Meer ist, sondern auch ein Ort, an dem jemand wie Martin Lehner genau richtig ist.