
(Pop.: 2.579 – 109m NN)
Papierstedt liegt in der weiten, leicht abfallenden Seeland-Ebene zwischen Ulmdorf im Westen und Rosengarten im Osten. Mit seinen knapp 2.600 Einwohnern ist es das größte Dorf des westlichen Unterstrander Landes und gilt als Übergang zwischen bäuerlicher Flachskultur und industrieller Fertigung. Der Ort zieht sich entlang des Seitenkanals, der den Zajinbach mit dem Kleinen Teich verbindet. Dieser Kanal, einst ein ingenieurtechnisches Meisterwerk des 18. Jahrhunderts, brachte das Wasser, das die vier Mühlen trieb, aus denen später die kleine Industriestadt hervorging. Noch heute rauscht das Wasser unter alten Brücken hindurch, und an den Kanalufern stehen Backsteingebäude mit charakteristischen, halbrunden Fenstern – Überreste der „Vier Mühlen“, denen Papierstedt seinen Namen verdankt.
Die Gründungsgeschichte des Ortes reicht bis ins frühe 17. Jahrhundert zurück. Damals entstanden entlang des Kanals vier Mahl- und Walkmühlen, die zunächst Getreide, später Tuchstoffe verarbeiteten. Im 18. Jahrhundert kamen Papiermühlen hinzu, die Lumpen und Flachsreste aus den umliegenden Dörfern nutzten. Die Kombination von Wasser, Lehm, Flachs und Energie formte die Identität Papierstedts. Noch heute erinnert der Ort an diese Ursprünge – in Straßennamen wie „Mühlenwinkel“, „Papiergang“ oder „Walkhof“.
Das Zentrum Papierstedts liegt auf 109 Metern über dem Meeresspiegel, umgeben von Feldern, Wiesen und Wasserläufen. Im Ortskern reihen sich Ziegelhäuser mit flachen Giebeln und Werkstätten, daneben kleine Läden, zwei Bäckereien, ein Eisenwarenhandel und ein Gasthof. Die Häuser stammen meist aus der Zeit zwischen 1880 und 1920, als das Dorf seinen industriellen Höhepunkt erlebte. In der Mitte steht der alte Marktplatz, gepflastert mit unregelmäßigen Steinen, auf denen werktags ein kleiner Wochenmarkt stattfindet.

Hinter dem Markt beginnt das eigentliche Industrieviertel – eine kompakte Zone aus Werkhallen, Lagerhäusern und Schienenanlagen. Hier steht das Werk „Vier Mühlen – Tuch & Strick“, das heute das wirtschaftliche Herz des Dorfes bildet. Die Fabrik liegt im Winkel der Industriebahn, deren Gleise in die Bahnhöfe Papierstedt Süd und Papierstedt Ost führen. Der Hauptbau ist ein viergeschossiger Ziegelbau mit Sheddach und gußeisernen Säulen, errichtet 1907, erweitert 1954 und zuletzt 1998. Im Werk werden Walkwaren, robuste Jacken und Seemannsunterhemden hergestellt. Die Produkte gehen an Händler in Seestadt und nach Grenzburg, einige werden auch über den Werksverkauf in der Lagerstraße 3 verkauft. Wer das Gebäude betritt, hört sofort das gleichmäßige Stampfen der Walkmaschinen und das rhythmische Klopfen der Textilprüfer. Das Werk produziert bewusst im traditionellen Stil, mit dichten Geweben aus Wolle und Flachs. Das Material stammt teilweise aus der Produktion der Auenwolle Schittingen eG, die Rohwolle aus den Auen und Sandrücken des Seelandwaldes liefert. Dort werden die Fasern gewaschen, gekämmt und zu kardierten Bändern verarbeitet, die in Papierstedt zu Garnen und Strickwaren weiterverarbeitet werden.
Das Zusammenwirken von Schittingen und Papierstedt steht beispielhaft für die Struktur des Seeländer Handwerks: das Zusammenspiel von Naturprodukt, Handwerk und industrieller Verarbeitung. In den Werkhallen hängen die grauen Wollbänder wie breite Schleifen von den Spulen, und in den Obergeschossen lagern Garnrollen, die in Körben zur Näherei gebracht werden. Am späten Nachmittag, wenn die Sonne durch die Fenster fällt, schimmert die Luft voller Wollstaub, und die Halle wirkt wie ein Raum aus Dampf und Arbeit.
Die Bewohner Papierstedts leben eng mit den Betrieben. Viele Familien arbeiten seit Generationen im Textilbereich – als Weber, Spinner, Mechaniker oder Näherinnen. Daneben bestehen kleinere Werkstätten: ein Schlosserei-Betrieb an der Kanalstraße, der Metallteile für Webmaschinen fertigt, eine Tuchfärberei, die mit natürlichen Pigmenten arbeitet, und eine Feinschneiderei, die Unterwäsche und Arbeitshosen herstellt.
Auch wenn der Ort industriell geprägt ist, zeigt Papierstedt seine bäuerlichen Wurzeln. Die Felder rund um den Ort werden im Rahmen der Agrarverbund Seeland-Ebene Unterstrand eG bewirtschaftet. Roggen, Rüben und Flachs wechseln sich in großflächiger Fruchtfolge ab. Am südlichen Dorfrand liegt der Flachshof Remmer, dessen Strohhaufen im Sommer von weitem sichtbar sind. Hier wird der Flachs geröstet und in Ballen gepresst, die per Lkw zur Weiterverarbeitung nach Faultierwald gehen.
Ein besonderes Stück Handwerksgeschichte verbindet Papierstedt mit der Kreisstadt Unterstrand. Die alte Kirchturmuhr der St.-Gertrud-Kirche dort wurde 1748 von einem Schmied aus Papierstedt gefertigt. Das Uhrwerk bestand vollständig aus Holz – Zahnräder, Achsen und Wellen – und lief fast zweihundert Jahre lang, bis in die 1960er Jahre. Heute ist es stillgelegt, aber vollständig erhalten. Eine kleine Gedenktafel am Werkstattgebäude in der „Alten Gasse 5“ erinnert an den Erbauer, Meister Klemens Reuter, dessen Werk die Verbindung von Präzision und Holzhandwerk zeigt, für die Papierstedt einst berühmt war.

Das Bahnhofsgebäude von Papierstedt, 1909 erbaut, ist ein markantes Beispiel seeländischer Industriearchitektur: ein flacher Ziegelbau mit Eisenbahnrampe, gußeisernen Pfeilern und einem Uhrenturm. Heute beherbergt er ein kleines Technikmuseum, in dem alte Textilmaschinen, Werkzeuge und Modelle der Papiermühlen gezeigt werden. Besonders eindrucksvoll ist das Modell einer Papierpresse von 1786, das noch mit Wasserkraft betrieben werden kann.
Die Wohnviertel Papierstedts sind dicht, aber lebendig. Entlang der „Arbeiterstraße“ stehen zweigeschossige Häuser mit kleinen Gärten, in denen Apfelbäume wachsen und alte Ziegelwege verlaufen. Viele dieser Häuser wurden um 1910 errichtet und beherbergten ganze Familien von Webern und Färbern. Am Abend sieht man dort Licht in den Küchenfenstern und hört das Klappern von Geschirr – eine Szene, die sich seit Generationen kaum verändert hat.
Im Ortszentrum steht das Rathaus, ein schlichtes Gebäude aus den 1920er Jahren, heute Verwaltungssitz und Bürgerhaus. Hier finden Konzerte, Märkte und Sitzungen statt. Im Erdgeschoss ist ein Café untergebracht, das „Mühleneck“, in dem Flachsbrot, Rübenkuchen und Kaffee aus der Region serviert werden.
Papierstedt hat, trotz seiner industriellen Vergangenheit, eine enge Verbindung zur Natur. Entlang des Seitenkanals verläuft ein Wander- und Radweg, der über alte Mühlenbrücken führt und Ausblicke auf das Wasser bietet. Im Frühling blühen dort Weiden, und Reiher jagen Fische in den flachen Uferzonen. Auf einer der Inseln im Kanal steht die Ruine einer der alten Papiermühlen – eine schmale, halb eingestürzte Halle mit offenen Bögen. Ihr Fundament ist überwuchert, aber das Rauschen des Wassers zwischen den Steinen klingt, als arbeiteten die Räder noch.
Einmal im Jahr, im September, feiert Papierstedt das „Vier-Mühlen-Fest“. Dann öffnen die Werkhallen, und es gibt Führungen durch die Fabrik „Tuch & Strick“. Alte Maschinen laufen an, Kinder dürfen Stofffetzen färben, und auf dem Kanal fahren kleine Flöße mit Lampen. Der Abend endet traditionell mit dem Läuten der historischen Mühlenglocke, die einst den Schichtwechsel markierte.
Bahn: SeeLB87 stündlich 6:25 – 21:28 nach Seestadt, 6:53 – 21:53 nach Grenzburg, SeeLB88 stündlich 6:08 – 21:08 nach Seestadt, 6:13 – 21:13 nach Teichstedt
Ch.: SEE18 (W: Ulmdorf 6,5km, O: Rosengarten 12km), Feldwege nach Schittingen, Altenfähr, Unterstrand, Zajin

Zur Gemeinde Papierstedt gehört der Ort Schittingen: Schittingen, mit 524 Einwohnern auf 122 m NN, liegt im dichten Schittinger Auenwald am Zajinbach im Südwesten des Kreises Unterstrand. Der Ort ruht auf einer leichten Anhöhe über feuchten Wiesen und Wasserarmen, verbunden durch Bretterstege und kleine Brücken. Herzstück des Dorfes ist die Auenwolle Schittingen eG, eine Genossenschaft, die seit 1923 Wolle von Schafherden aus den Auen und Sandrücken des Seelandwaldes wäscht, sortiert und kardiert. Der Dampf aus den Blechwannen und der Geruch von Lanolin prägen das Dorfbild. Die Wolle gelangt weiter nach Papierstedt zum Werk „Vier Mühlen – Tuch & Strick“, während der Mist der Herden die Roggenfelder des Agrarverbunds Seeland-Ebene Unterstrand düngt. Ein handgewebtes Tuch aus Schittinger Wolle liegt im Altarraum der Maria-Magdalena-Kirche in Zajin. Der Auenpfad, ein 4,2 Kilometer langer Rundweg, führt Besucher durch Erlenwälder, über Stege und an einer alten Reusenhütte vorbei.