Darso

Darso (Landkreis Sturminsel West – Sturmland)

(Pop: 258 – 34m NN)

Darso liegt an der Westküste der Sturminsel, dort, wo die Tropfritz – ein windiger, schmaler Gebirgsbach – ins Westmeer mündet. Der Ort schmiegt sich in eine flache, moorige Ebene zwischen salzwindverformten Erlen und der offenen Küste, gerade einmal 34 Meter über dem Meeresspiegel. Im Westen endet das Dorf an den Salzwiesen, die bei Sturmfluten bis an die alten Pfahlzäune reichen. Östlich davon steigt das Gelände steil an und geht bald in die Wälder des Sturminselgebirges über. Wer von Darso aus in nördliche Richtung will, folgt der Tropfritzer Uferstraße, die jedoch bei starker Flut regelmäßig unpassierbar ist. Der Landweg nach Laguna ist nur noch für Traktoren geeignet, seit eine Brücke über den Bach Mystikka abgetragen wurde. Trotzdem liegt Darso nicht abgeschieden: Die Landesstraße ST305 verläuft durch den Ort. Sie führt ostwärts durch das Tal der Tropfritz nach Fuglo, südwärts nach Winoma – dies ist die einzige ganzjährig befahrbare Verbindung zur Außenwelt. Im Ort selbst führen zwei Straßen durchs Dorf: der Hauptweg zur Mündung und die Lange Gasse, die sich an der alten Scheune von Tjörne Kaaling gabelt.

Verwaltungstechnisch ist Darso das Zentrum einer weitläufigen Gemeinde, die mehr als die Hälfte der Fläche des gesamten Landkreises Sturminsel West umfasst. Zu ihr gehören neben dem Dorf selbst die Siedlungen Fungus, Laguna, Pilza, Spam sowie die entlegene Wetterstation auf dem Gebirgskamm des Sturminselgebirges. Die Station – offiziell „Meteorologischer Stützpunkt Hoher Zahn“ – ist nur über eine steile Serpentinenstraße erreichbar und im Winter oft eingeschneit. Dort arbeiten saisonweise zwei bis drei Meteorologen, unter ihnen seit Jahren die aus Rautal zugezogene Kira Novalsky, in Darso bekannt als „die Frau mit dem Schneekern“. Pilza liegt 15 Kilometer Luftlinie nördlich, oberhalb einer Klippe, und ist für seine fleischigen Großpilze bekannt, die nirgendwo sonst gedeihen. Spam, in der Nähe des ehemaligen Hochmoorwerks, zählt heute 36 ständige Einwohner, ist aber ein Ziel für Mineralogen, die dort nach Feuersteinlinsen suchen.

Die Sturmkapelle von Darso ist die markanteste Kirche des Landkreises, eine einsame, vom Wind gezeichnete Holzkirche aus dem 16. Jahrhundert. Sie steht auf einem kleinen Hügel am nördlichen Ortsrand, keine hundert Meter vom Steilufer entfernt, und ist von Windgras und flachgedrückten Wacholderbüschen umgeben. Der hölzerne Glockenturm neigt sich leicht nach Westen – ein sichtbares Zeugnis der jahrhundertelangen Angriffe der Westmeerstürme, denen das Gebäude trotzte. Im Innern ist die Kapelle schlicht gehalten: rohe Holzbänke, ein grob gezimmerter Altar, und Schnitzereien von Seevögeln und Wellenmustern an den Balken, die die Verbindung der Dorfbewohner zum Meer ausdrücken. Die Kapelle ist nicht dauerhaft besetzt, doch ein rostiger Schlüssel hängt im Haus von Margrethe Nyvik, die ihn Besuchern auf Nachfrage überlässt. Einmal im Jahr, zur Sommersonnenwende, versammeln sich Küstenbewohner aus der Region zum Lichterfest: Hunderte von Kerzen werden auf kleinen Holzflößen in die Tropfritz gesetzt, treiben hinaus aufs Westmeer und tragen das stille Gedenken an die Verstorbenen über die dunklen Wellen.

Am westlichen Ortsrand von Darso steht ein flacher Holzbau mit dem Schild „Nationalparkverwaltung Skyggeskog“. Hier arbeiten sieben festangestellte Rangerinnen und Ranger, unterstützt von saisonalen Naturführerinnen und Freiwilligen aus der Region. Der Skyggeskog ist ein einzigartiges Gebiet aus Schwarzbirkenwald, Nebelbruch, Küstenheide und Kalktrockenhängen – eine Kombination, wie sie in Landauri kein zweites Mal vorkommt. Von Darso aus werden Schutzmaßnahmen koordiniert, geführte Touren organisiert und Forschungsarbeiten in einem angegliederten Labor betreut. Im Mittelpunkt stehen derzeit die Spätsommerzählungen der Eulenkrähen sowie die Kartierung der Schlammfalterpopulation im Hochmoorgebiet bei Fungus. Einmal wöchentlich findet im Verwaltungsgebäude eine öffentliche Sprechstunde statt, bei der Anliegen der Bevölkerung aufgenommen werden – etwa Beschwerden über gesperrte Pfade oder Sichtungen seltener Tiere. Ein Höhepunkt im Jahreslauf ist die „Lichtnacht“, bei der ein sternenkundlich betreuter Nachtspaziergang durch die Heide veranstaltet wird.

Für Gäste empfiehlt sich das Gasthaus „Zur Flutmarke“, gelegen am Hauptweg zur Mündung 2. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1883, ursprünglich ein Fährkrug für Flößer auf dem Rückweg aus den Lagunen. Heute führen es Svea und Jon Halverson. Sie servieren Fischsuppen, eingelegte Kiefernsprossen und ihr hausgebackenes Tropfritzkrustenbrot – in der Region ein Begriff. Die niedrige Gaststube mit groben Holzbalken besitzt eine handbetriebene Wandtafel, auf der Gäste ihre Herkunft mit Kreide eintragen können. Die namensgebende Flutmarke – ein rot lackierter Wasserstandsmesser – steht heute auf einem Betonsockel hinter dem Haus.

Etwas weiter hangaufwärts, am Beginn der Langen Gasse, befindet sich das kleine Hotel „Flaach“. Der Name stammt vom lokalen Begriff für die ebenen Wiesen, auf denen es erbaut wurde. Das Hotel hat sechs Gästezimmer, eingerichtet mit geöltem Lärchenholz, gestreiften Leinenvorhängen und stets einem Teleskop auf dem Fensterbrett – ein Überbleibsel der Vorbesitzerin Thelma Borr, einer Himmelsbeobachterin. Heute führt Hanno Prokk das Haus, ehemals Meteorologe auf dem „Hohen Zahn“. Frühstück wird im verglasten Wintergarten serviert, bei klarer Sicht sieht man bis zur Lagune von Laguna. Im Obergeschoss findet sich eine kleine Bibliothek mit naturkundlichen Werken, darunter eine kommentierte Ausgabe des „Bestimmungsbuchs Sturmlandischer Küstenpflanzen“, die Gästen zur Ausleihe zur Verfügung steht.

Darso ist kein Ort für schnelle Ablenkung oder laute Unterhaltung. Es ist ein stiller, sich stetig verändernder Raum, der Menschen, Pflanzen und Geschichten sammelt. Im Ort betreibt die Familie Kolstrøm eine einfache Werkstatt zur Reparatur von Gummistiefeln. An der Außenwand hängt ein verblichenes Werbeplakat für die Landauri-Gummischuhmarke „Vaudin“. Kinder spielen am Tropfritzsteg mit selbstgebauten Treibholzbooten. Einmal im Jahr, am sogenannten Raucherdonnerstag, versammeln sich die Bewohner am Ufer, um ihre alten Fischernetze zu verbrennen – eine Tradition, die an eine sturmreiche Nacht im Jahr 1894 erinnert, als das gesamte Dorf seine Ausrüstung verlor, aber niemand zu Schaden kam. An der alten Weggabel bei Spam steht ein verwitterter Gedenkstein für eine Försterin, die einst während eines Herbststurms verschwand. Jedes Jahr hängt jemand frische Pilzlamellen an den Stein. In Darso fällt nichts aus dem Rahmen. Es wird nur anders verstanden.

Ch.: ST305 (O: „Tropfritztalstraße“ nach Fuglo, S: Winoma); Tropfritzer Uferstraße nach Laguna